Die Spur der Hebamme
nachdem Kuno und Johanna wieder ihre richtigen Kleider angezogen hatten.
Kuno war schon ein paarmal in Christians Gefolge nach Meißen geritten und hoffte nun inständig, den Weg auch im Dunkeln zu finden. Zum Glück war in ein paar Tagen Vollmondund der Himmel klar. Bertram verschränkte die Hände, damit Johanna zu Kuno aufs Pferd steigen konnte. Dann verabschiedete er die beiden und bereitete sich darauf vor, einem wutschnaubenden Randolf gegenübertreten zu müssen, der von ihm Auskunft über den Verbleib seines Freundes forderte.
Hoffentlich kommen sie unbehelligt nach Meißen. Und hoffentlich nimmt mir Randolf meine Geschichte ab, ohne mich zu erschlagen, dachte er bei sich, während er zurück zu Christians Haus lief.
Derweil trieb Kuno das Pferd voran in die heranbrechende Sommernacht.
Tapferes Mädchen, dachte er, während er Johanna festhielt. Falls sie sich fürchtet, lässt sie sich nichts anmerken.
Johanna hatte Kuno nichts von der demütigenden Szene mit Randolf erzählt; diese würde sie auf immer in ihrem Innersten begraben.
Jetzt mit ihm eine Nacht lang durch den Wald reiten zu müssen, wo vielleicht der Tod lauerte, bereitete ihr viel weniger Angst als das Schicksal, das ihr auf der Burg gedroht hätte. Sie verspürte noch nicht einmal Müdigkeit, so heftig pochte ihr Herz. Als der Morgen graute – es waren die kürzesten Nächte des Jahres –, legte Kuno eine Rast ein, damit Johanna ruhen konnte. Ihm selbst fielen ebenfalls fast die Augen zu, aber es war undenkbar, dass er auch nur einen Moment schlief, solange sie nicht in Sicherheit war.
Während seine Blicke zärtlich auf dem Mädchen ruhten, kreisten seine Gedanken darum, ob Christian sie ihm wohl zur Frau geben würde.
Ob sich der Ritter wohlbehalten mit dem Silber zum Kaiser durchschlug? Aber was steckte dahinter, dass Randolf auf einmal beschlossen hatte, sich zum Vormund für Johanna zu erklären?
Kunos unerschütterliche Frohnatur verbot ihm, sich in finsteren Deutungen zu verlieren. Wartet nur, bis Christian zurück ist, dachte er grimmig. Dann werden wir ja sehen, wer hier wen heiratet.
Auf der letzten Wegstrecke schien die Sonne trotz der frühen Morgenstunde bereits kräftig. Seit Tagen war es ungewöhnlich heiß und trocken. In Meißen setzte Kuno Johanna unterhalb des Burgberges ab. Sie sollte sich unauffällig unter die vielen Mägde mischen, die dort Fisch und Fleisch für die Mahlzeiten ihrer Herrschaften einkauften, während er auf dem Burgberg nach Marthe suchen würde, um mit ihrer Hilfe einen Platz zu finden, wo Johanna in Sicherheit war.
Er hatte Glück, er sah sie sofort, als er das Burgtor durchschritten hatte. Doch bei ihr stand Lukas, allem Anschein nach verwundet. Was hatte das zu bedeuten? Sollte der nicht längst mit Christian unterwegs zum Kaiser sein? Auf einmal wurden ihm Arme und Beine bleiern schwer.
»Was ist los?« – »Was ist im Dorf geschehen?«, fragten Lukas und Marthe gleichzeitig, während sie Kuno entgegenliefen.
Der Rotschopf war so von Staub bedeckt, dass seine Sommersprossen nicht mehr zu erkennen waren und sein Haar grau statt rötlich wirkte. Er sah aus, als würde er vor Müdigkeit gleich umfallen, nur seine Augen blitzten hellwach. »Ihr müsst Johanna hier verstecken. Randolf hat sich zu ihrem Vormund ernannt und wollte sie heute mit einem seiner Tölpel verheiraten«, krächzte er, so ausgetrocknet war sein Mund. Er wagte nicht zu fragen, was Lukas’ Anwesenheit hier bedeutete.
»Allmächtiger! Wo ist sie? Was hat er ihr angetan?«, rief Marthe erschrocken, während ihr die schrecklichsten Bilder vor Augen standen. Hatte Johanna dasselbe grausame Schicksal erleiden müssen wie sie einst?
»Keine Sorge; ich hab sie rechtzeitig da rausgeholt«, sagte Kuno ungewohnt ernst. »Sie wartet ganz in der Nähe. Bevor ich sie hierher bringe, wollte ich erst nach Euch suchen, damit niemand sie sieht. Gott sei gedankt, dass ich Euch gleich hier treffe.«
»Dann lass uns keine Zeit verlieren«, entschied Lukas rasch und war schon auf dem Weg zum Burgtor. Marthe schloss sich den beiden an und begann Kuno voller Sorge auszufragen, was genau geschehen war.
Doch als sie das Tor passieren wollten, trat einer der Wachleute Marthe in den Weg, ein älterer Soldat mit grauem Bart.
»Hohe Frau, wir haben Anweisung, dass Ihr den Burgberg nicht verlassen dürft«, sagte er höflich, doch entschieden. »Es ist zu Eurem eigenen Schutz.«
»Wer hat das angeordnet?«, forderte Lukas in
Weitere Kostenlose Bücher