Die Spur der Hebamme
dort beinahe eine Magd über den Haufen, die einen Korb Heu vor sich hertrug.
Lukas war ihr gefolgt und griff rasch nach ihrem Arm, um sie davor zu bewahren, zu stürzen.
Die Magd, die offensichtlich neu am Hof war, kauerte sich aus Angst vor Schlägen zusammen, während sie die verstreuten Halme auflas. Doch Marthe beachtete sie gar nicht, sondern drehte sich wütend zu Lukas um.
»Was hast du dir dabei gedacht?!«, fauchte sie. »Und ich hatte immer geglaubt, du wärst sein Freund!«
Lukas hob die Arme, erschrocken über ihre Reaktion. »Ich würde dich nicht anrühren, ich schwör’s bei allen Heiligen«, beteuerte er hastig.
Dann senkte er seine Stimme und sprach beruhigend auf sie ein. »Ich glaube doch auch, dass Christian noch lebt. Ich will dir Zeit verschaffen und dich vor diesem Dreckskerl bewahren. Wenn wir die Ehe nicht vollziehen, kann sie jederzeit annulliert werden. So wärst du keine Bigamistin, wenn Christian zurückkehrt.«
»Er ist nicht tot, das weiß ich! Wie soll ich nur diese Hochzeit verhindern?«
Lukas zupfte vorsichtig ein paar trockene Halme von ihrem Ärmel, die nach dem Zusammenprall mit der Magd dort hängengeblieben waren.
»Ich glaube doch auch, dass er noch lebt«, wiederholte er mit leiser Stimme. »Vielleicht, weil ich es nicht wahrhaben will. So wie ich damals nicht geglaubt habe, dass du tot bist, als dich alle anderen schon aufgegeben hatten. Und dann bist du wie durch ein Wunder doch zurückgekommen.«
Er blickte kurz um sich, ob niemand in der Nähe war, der sie belauschen konnte, dann fuhr er leise fort: »Wenn du willst, helfe ich dir bei der Flucht. Danach wären wir beide in Ungnade, deine Kinder ebenso. Wir dürften uns nie wieder im Dorf blicken lassen. Und ich müsste den Platz verlassen, auf den mich Otto befohlen hat. Ich würde gerichtet, wenn sie mich erwischen. Aber wenn du es willst, tu ich es, ohne zu zögern.« Achtlos warf er die zerknickten Halme zu Boden.
»Entschuldige«, brachte Marthe schließlich hervor, während sie mit den Tränen kämpfte. »Es war alles zu viel für mich …«
Lukas hätte sie am liebsten in den Arm genommen, um sie zu trösten. Aber das durfte er hier in aller Öffentlichkeit nicht tun. Beunruhigt sah er um sich, ob sie schon Aufsehen erregten. Dabei fiel sein Blick auf ein wohlbekanntes Gesicht.
»Was macht der denn hier?!«, platzte er heraus. Marthe fuhr herum und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Verschwitzt, zerzaust und staubig von einem langen, schnellen Ritt, kam Kuno auf sie zugelaufen.
Kuno und sein Freund Bertram hatten nach hektischem Überlegen beschlossen, dass es doch am besten sei, Johanna nach Meißen zu bringen, sollte ihr kühner Handstreich gelingen.
Im Dorf war sie vor Verrat nicht sicher, und die Mönche im einige Meilen entfernt entstehenden Zisterzienserkloster gestatteten Frauen keinen Zutritt.
Sie mussten darauf vertrauen, dass ihnen unterwegs keine Wegelagerer auflauerten, da diese inzwischen dem Silberschatznachjagten. So verabredeten sie mit dem Bergmeister einen Vorwand, um Kunos Abwesenheit zu erklären, denn zweifellos würde Randolf ihn zuerst verdächtigen.
Als sich Kuno in die Kammer schlich, in der Johanna eingeschlossen war, hätte die sich beinahe mit ihrem kleinen Messer auf ihn gestürzt. Fassungslos starrte sie auf das alte Weib mit dem Tragekorb, das anstelle des befürchteten Randolfs vor ihr stand, bis sie ein vertrautes Grinsen in dem Gesicht erkannte und die Augen aufriss.
Sie fiel Kuno um den Hals und begann vor Erleichterung zu weinen. Der Rotschopf gestattete sich einen Moment lang, die Berührung zu genießen. Noch nie war sie ihm so nah gewesen. Immerhin war sie keine einfache Bauerntochter mehr, sondern das Mündel von Ritter Christian. Dann zog er die Verkleidung für sie als Küchenjunge unter seinem alten, zerlumpten Rock hervor.
»Mach schnell, wir müssen uns beeilen«, flüsterte er ihr zu. Das wusste niemand besser als Johanna. »Randolf kann jeden Moment kommen«, flüsterte sie ängstlich zurück. Hastig erklärte Kuno ihr seinen Plan, und sie war sofort entschlossen, das Risiko einzugehen.
Er drehte sich um, damit sie die Kleider tauschen konnte, und ärgerte sich darüber, dass dabei flammende Röte in sein Gesicht stieg.
Nach ihrer vorerst unbemerkten Flucht vom Burggelände huschten sie zum Waldsaum am Dorfrand, wo Bertram sie bereits mit einem Pferd erwartete. Erleichtert drückte er seinem Freund Waffen und etwas Proviant in die Hand,
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