Die Spur der Hebamme
herabstieg.
Karl kämpfte nur mit Mühe die Gefühle nieder, die sich in ihm breitmachten – Zorn und Angst. Nicht nur, weil der Vorwurf für seine Verhaftung erfunden war, sondern auch, weil er sich nur zu gut daran erinnerte, wie Randolf ihn und Jonas unter ebenso falscher Anschuldigung auspeitschen und für drei Tage bei sengender Sonne in den Block schließen ließ.
Auch Randolf schien daran zu denken. Demonstrativ zog er eine Peitsche aus dem Gürtel und hielt sie ihm unter die Nase. »Ich kann dich hier bis ans Ende deiner Tage verrotten lassen, das weißt du so gut wie ich«, verkündete der Burgvogt grimmig. »Und ich werde dafür sorgen, dass du dieses Ende herbeisehnst. Es sei denn, du bist mir mit einer Auskunft nützlich.« Karl schwieg.
Randolf ließ einen winzigen Moment verstreichen, ehe er losbrüllte: »Wo ist deine Schwester?«
»Seit Wochen schon mit Dame Marthe und ihren Kindern in Meißen, beim Markgrafen«, antwortete Karl mit gespielter Verwunderung, als ob er nicht genau wusste, dass es hier nicht um Marie ging.
Der Burgvogt rammte ihm die Faust ins Gesicht, so dass ihm Sterne vor den Augen erschienen und Blut aus seiner Nase strömte.
»Verkauf mich nicht für dumm, Bursche«, brüllte Randolf. »Ich meine die andere, die junge Kräuterhexe.«
Karl nahm seinen letzten Mut zusammen. »Habt Ihr sie nicht gestern in Eure Obhut genommen?«
Statt einer Antwort zog ihm Randolf die Peitsche quer übers Gesicht. Die Haut platzte auf, der Hieb brannte wie Feuer, und noch mehr Blut tropfte auf Karls Lederschürze.
»Wo ist sie?«, wiederholte Randolf.
»Weiß nicht«, brachte der Schmied zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Randolf winkte die beiden Wachen näher zu sich, die Karl in Ketten gelegt hatten.
»Zieht ihn höher«, befahl er. »Und runter mit den Sachen!«
Karl konnte das Stöhnen nicht unterdrücken, als sein ohnehin schon malträtierter Körper an den Armen so weit hochgezogen wurde, dass die Füße den Boden nicht mehr berührten. Die Wachen drehten ihn um, so dass er ihnen den Rücken zukehrte. Sie entblößten seinen kräftigen Oberkörper und beschwerten seine Füße fachmännisch mit einer kopfgroßen steinernen Kugel.
Dann begann Randolf ihn auszupeitschen, systematisch und mit Wucht.
Nach jedem Schlag hielt er inne und fragte: »Wo ist sie?«
Mit jeder ablehnenden Antwort holte der Burgvogt weiter aus, bis er schließlich selbst keuchte und schrie: »Antworte endlich,ich frage zum letzten Mal! Sonst halte ich mich an deinem Weib schadlos!«
Atemlos und mit aufgerissenen Augen starrte Karl auf das Mauerwerk vor sich und betete stumm zu Gott und allen Heiligen.
Agnes hatte durch Jonas davon erfahren, dass ihr Mann auf die Burg befohlen worden war. Sie verbrachte einen halben Vormittag voller Unruhe und Angst, bis sie sich schließlich davon überzeugte, dass ihr Sohn tief und fest in seinem Weidenkörbchen schlief, und zu Emma lief, die selbst vor einer Woche mit Johannas Hilfe ein Töchterchen zur Welt gebracht hatte.
»Was soll ich nur tun?«, fragte sie verzweifelt. »Zur Burg gehen und fragen?«
»Auf keinen Fall!«, rief Emma erschrocken. Sie hatte vor Jahren ihre eigenen, leidvollen Erfahrungen mit Randolfs Männern machen müssen, als Jonas und Karl ihnen ausgeliefert waren.
»Aber ich vergehe vor Sorge«, jammerte Agnes. »Wenn ich mich nach ihm erkundige, müssen sie mir Auskunft geben.«
»Du gehst nicht dorthin«, sagte Emma in aller Entschiedenheit.
»Du hast Randolf nie kennengelernt, wie er wirklich ist. Wie er ist, wenn Christian nicht da ist und ihn im Zaum hält.« Auch ihr Gesicht hatte sich verdüstert.
Ruhelos knetete Agnes ihre Hände.
»Bleib hier, ich werde nachforschen«, erklärte Emma entschlossen und war schon auf dem Weg hinaus. Agnes ignorierte ihre Worte und rannte ihr hinterher.
Sie liefen zu Jonas’ Schmiede. Auch Jonas machte sich Sorgen über das Ausbleiben seines einstigen Gehilfen und jüngeren Freundes. »Ich habe Peter ausgeschickt, um heimlich Erkundigungen einzuholen«, flüsterte er Emma zu, während er ein rotglühendes Stück Eisen in einen Wasserbottich wuchtete, wo es zischend und qualmend versank. Niemand konnte wissen, wervon Randolfs Zuträgern gerade um die Schmiede schlich und an den Wänden lauschte.
Doch die Dorfbewohner, die fest zu Christian standen, hatten längst ein eigenes Spionage- und Informationsnetz aufgebaut. Allen voran Peter und seine eigene Bande, zu der nicht mehr nur die Kinder
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