Die Spur der Hebamme
Turnierwiese begeben.
Auch Christian trank seinem jungen Schützling zu.
Immer mehr Gratulanten drängten sich zu dem jungen Ritter durch.
Als sich das Gewühl allmählich lichtete, entdeckte Christian jemanden, mit dem er nicht gerechnet hatte: Jakob, seinen früheren Knappen.
Jakob verbeugte sich höflich vor Christian und Marthe, ging dann auf seinen einstigen Gefährten zu und umarmte ihn.
»Ich soll nächste Pfingsten in den Ritterstand erhoben werden«, berichtete er stolz. »Aber so Gott will, bringt mir meine junge Frau noch vorher einen gesunden Erben zur Welt.«
»Nun, da bist du mir wenigstens in dieser Hinsicht voraus«, erwiderte Konrad lachend und schlug dem Kameraden auf die Schulter.
Lukas, der sich inzwischen mit finsterer Miene zu ihnen gesellthatte, musterte seinen jüngeren Bruder verächtlich, was diesem nicht entging.
»Stimmt es, dass fast alle von euren Leuten auf dem Silbertransport abgestochen wurden?«, fragte er den Älteren herablassend. »Da hast du mich so getrieben mit deiner angeblichen Überlegenheit im Umgang mit dem Schwert. Und am Ende wart ihr doch nicht gut genug, um gegen ein paar zerlumpte Strauchdiebe zu bestehen.«
In maßlosem Zorn packte Lukas seinen Bruder am Bliaut.
»Das waren ehrbare Männer, Leute, mit denen du an einem Tisch gesessen hast und die mit dir ihre Mahlzeiten teilten. Männer, von denen jeder Einzelne mehr Anstand im kleinen Finger hatte, als du je haben wirst.«
Wütend stieß er ihn zu Boden, wischte sich unsichtbaren Schmutz von den Händen, drehte sich um und ging.
»Das hättest du nicht sagen dürfen«, wies Konrad Jakob leise zurecht. Er streckte dem Gleichaltrigen die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. »Du kanntest sie alle. Und es war kein ehrlicher Kampf. Sie sind feige in einen Hinterhalt gelockt worden und hatten keine Chance gegen die Übermacht.«
Jakob klopfte sich den Staub vom Bliaut. Doch stärker als seine Verlegenheit war sein Hass auf den älteren Bruder. »Hast du vergessen, wie sehr er uns immer getrieben hat? Wie oft er mich demütigte und meinte, aus mir würde nie ein guter Kämpfer werden?«, stieß er hervor.
»Das rechtfertigt deine Worte nicht«, wies ihn Konrad in ungewohnt würdevoller Strenge zurecht. »Neid und Hass sind keine guten Ratgeber.«
»Du tust so, als ob das alles so einfach wäre«, hielt Jakob dagegen. »Wie Christian! Wohin hat ihn denn sein Gerede von Ehre und Lehnstreue gebracht? In den Kerker und beinahe ins Grab!«
»Doch, es ist so einfach«, widersprach Konrad leidenschaftlich.
»Entweder man hält sich an die Ehrenregeln der Ritterschaft oder nicht. Und wenn du dich dagegen entscheidest, weil das bequemer ist, stehst du unweigerlich auf der gleichen Seite wie Randolf.«
Jakob starrte ihn ungläubig an. Dann erst fragte er, beinahe schüchtern: »Darf ich dir trotzdem beim Turnier als Knappe zur Seite stehen? Deshalb war ich eigentlich gekommen.«
Konrad grinste verwegen. »Die Erinnerung daran werde ich für den Rest meines Lebens genießen. Folge mir, Knappe!«
Christian und Marthe hatten die Szene beobachtet. So zornig Christian über die Worte seines ehemaligen Knappen war, so sehr erfüllte ihn mit Stolz, wie ihn Konrad zurechtgewiesen hatte.
Lukas hatte sie inzwischen wieder eingeholt. »Dreckskerl«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Ich hab ihn vorhin schon entdeckt, vor der Zeremonie, und da hatte er nichts Eiligeres zu tun, als vor mir zu prahlen, was für ein toller Kerl er sei, als Ehemann und Erbe der Ländereien.«
Christian wollte den Freund trösten, doch seine Worte blieben ihm im Hals stecken, als sein Blick Marthe streifte: Schneeweiß im Gesicht starrte sie ins Leere.
Er packte sie fest an den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Was ist los?«
Marthe rang verzweifelt nach Worten. »Konrad darf heute nicht zum Turnier antreten! Du musst mit Markgraf Dietrich sprechen.«
»Das ist undenkbar! Wenn er nicht teilnimmt, macht er sich zum Gespött der ganzen Ritterschaft.«
»Aber ich habe wieder dieses Bild vor Augen … dass er blutend auf einer Turnierwiese liegt …«, flüsterte Marthe kreidebleich.
Jeder von ihnen wusste: Sie war die Letzte, die von Vorahnungen sprechen durfte. Und es gab keinen einzigen Grund, Konrad vom Turnier auszuschließen.
Christian zögerte nicht länger. Er nahm Marthe am Arm und bedeutete Lukas, ihnen zu folgen. »Wir müssen versuchen, Dietrich unauffällig allein zu sprechen.«
Als die Sonne im Zenit
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