Die Spur der Hebamme
Kammer, in der die Kranke untergebracht war, klopfte an und trat ein.
Der Anblick ließ sie bereits in der Tür erstarren: Eine schwarzgewandete Gestalt stand mit dem Rücken zu ihr und wickelte gerade eine blutverschmierte Klinge in ein fleckiges Tuch. Aus Sigruns Unterarmen tropfte Blut auf den Boden.
»Habt Ihr nicht erkannt, dass sie viel zu schwach ist, um auch noch einen Aderlass zu überstehen?«, rief sie dem Fremden fassungslos zu.
Doch als er sich umdrehte, sah sie, dass es kein Fremder war. Es war genau jener Medicus, mit dem sie vor Jahren schon auf dem Burgberg aneinandergeraten war, als sie noch eine einfache Wehmutter gewesen war und den jüngeren Sohn von Markgraf Otto geheilt hatte.
»Ihr?«, stieß sie aus. »Ihr seid der neue Medicus im Nicolai-Viertel?«
Doch ihr Gegenüber war von der Begegnung keineswegs überrascht.
»Genau der«, gab er hasserfüllt zur Antwort. »Nachdem Ihr mich vom Burgberg vertrieben habt, musste ich mir schließlich eine neue Stelle suchen.« Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Und was böte sich besser an als Euer eigenes Revier?«
Plötzlich stand Christian neben Marthe. »Ihr stoßt in meinem Haus keine Drohungen aus«, sagte er in unmissverständlichem Befehlston. »Ihr werdet dieses Haus sofort verlassen und nie wieder betreten.«
»Ah, der kühne Ritter, der mich mit dem Schwert von meinem Patienten verjagt hat, damit ein kleines Kräuterweiblein seine Unwissenheit demonstrieren durfte …«
Der Medicus raffte seine Instrumente zusammen und ging zur Tür. Vor Christian blieb er stehen. »Diesmal werdet Ihr mich nicht vertreiben. Hier werde ich ausreichend Kundschaft haben, nicht nur einen törichten Markgrafen, der auf die Launen seines Weibes hört.«
Und schon rauschte er hinaus.
Kaum war die Seuche endlich abgeflaut, erhielt Christian Order aus Meißen. Er sollte sich mit seinen Rittern dort einfinden, um Markgraf Otto zum nächsten Hoftag des Kaisers zu begleiten. Lukas war froh, seiner Braut entrinnen zu können, die zwar einigermaßen genesen, doch noch viel zu schwach war, um die Heimreise anzutreten.
Christian aber traf sofort eine unumstößliche Entscheidung. Während seiner Abwesenheit sollte Marthe mit den Kindern auf dem Besitz seines Freundes Raimund unterkommen.
»Ich lasse dich und die Kinder auf keinen Fall allein hier, so lange dieser eifernde Beichtvater noch im Dorf ist, wir nicht wissen, ob ein neuer Überfall bevorsteht und ob Randolf bald wieder aufkreuzt«, erklärte er.
Marthe gab ihm diesmal ohne einen einzigen Einwand recht, obwohl es ihr zuwider war, aus dem eigenen Dorf fliehen zu müssen. Doch von allen hier war sie ohne Christian wahrscheinlich am meisten in Gefahr.
Also packte sie ihre Sachen, überließ Sigrun der Obhut ihrer Begleiter und freute sich auf das Wiedersehen mit Raimunds junger Frau Elisabeth.
ZWEITER TEIL
Spurlos Verschwunden
Angeklagt
E in plötzliches Frösteln ließ Marthe von ihrer Näharbeit aufblicken.
In der Tür zu Raimunds Halle stand ein Geistlicher in tiefschwarzer Kutte und mit einem großen, mit Edelsteinen geschmückten goldenen Kreuz auf der Brust. Seine Züge erinnerten sie an einen Raubvogel. Obwohl in der Halle mehr als ein Dutzend Menschen waren, fixierte er sofort Marthe mit stechendem Blick.
Eiseskälte durchfuhr sie, denn einen Moment lang sah sie einen schwarzen Schatten um ihn wabern.
»Ich suche eine gewisse Marthe«, schnarrte der Geistliche mit lauter Stimme, während er sie nicht aus den Augen ließ.
Leugnen hatte keinen Sinn. Er wusste, wo sie war – woher? –, und er wusste, wer sie war.
Bedächtig legte sie das Kinderhemdchen beiseite, das sie gerade ausgebessert hatte, und erhob sich. »Das bin ich.«
»Du kommst mit mir nach Meißen.«
»Weshalb, Ehrwürdiger?«, mischte sich Elisabeth höflich ein.
»Sie ist guter Hoffnung und sollte weite Reisen meiden.«
Sofort richtete der Raubvogelartige seinen Blick auf Marthes noch kaum gewölbten Leib. So etwas wie Bedauern zog für einen Moment über sein Gesicht. Dabei war Marthe sicher, dass ihm Mitleid fremd war.
»Sie muss sich vor einem Kirchengericht verantworten.«
Obwohl die Antwort für Marthe nicht überraschend kam, war ihr, als ob eine eisige Hand ihr Herz zusammenpresste.
»Was wirft man ihr vor?«, fragte Elisabeth mit etwas schärferer Stimme.
»Das geht dich nichts an, Weib«, wies der Geistliche Raimunds Frau schroff zurecht. »Misch dich nicht in Dinge ein, von denen du nichts
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