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Die Spur der Kinder

Titel: Die Spur der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
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zufällig, wo …?«
    Mit einem genervten Seufzer drehte sich die Rothaarige um. »Was denn?«
    »Das Meeting der Anonymen Alkoholiker«, sagte Fiona leise, fast flüsternd.
    Wieder ein Seufzen. »Zufällig will ich da auch hin«, sagte die Rothaarige kess und deutete die schmalen Treppen hinauf.
    Fiona folgte ihr wortlos, bis sie eine Tür erreichten, die die Rothaarige mit der gleichen Nonchalance aufstieß, mit der sie Fiona begegnet war. Der Stuhlkreis hatte sich bereits zu füllen begonnen. Fiona sah auf ihre Armbanduhr.
    Sechs Minuten zu früh.
    Unter einem Rauchverbotsschild neben der Tür standen Kaffee, Wasser und eine Dose Butterkekse auf einem Tisch, an dem sich die Rothaarige sogleich mit viel Aufwand einen Kaffee machte.
    Fiona sah sich weiter um. Erst als eine Sozialarbeiterin, vielleicht Ende dreißig, mit schlechten Zähnen und strähnigen kinnlangen Haaren, die Tür schloss, setzte auch sie sich auf einen der freien Stühle.
    »Füralle, die’s noch nicht wissen: Ich bin Claudie, und ich freue mich, dass ihr heute da seid«, begrüßte die Sozialarbeiterin die Anwesenden routiniert, nahm ebenfalls Platz und ließ ihre Handflächen auf ihre Oberschenkel klatschen. »Wer möchte anfangen?«, fragte sie in die Runde.
    Jeder wartete darauf, dass ein anderer etwas sagte. Eine ältere Frau meldete sich schließlich zu Wort und berichtete, wie es ihr in den vergangenen Tagen ergangen war. Ihre Stimme klang gefasst, wenngleich ihre Augen etwas anderes erzählten. Die Schilderungen kamen Fiona nur allzu bekannt vor.
    Dann stellte die Sozialarbeiterin Fiona den rund zwanzig fremden Gesichtern als die »Neue« vor. Fiona trug eine Jeans und eine helle Seidenbluse, dennoch erinnerte sie sich nicht, sich jemals so nackt gefühlt zu haben. Aller Augen waren auf sie gerichtet. Nur die Rothaarige rührte desinteressiert in ihrem Kaffee.
    »Mein Name ist Fiona. Ich bin dreiunddreißig, und ich glaube, seit zwei Jahren alkoholabhängig«, sagte sie, selbst ein wenig überrascht, dass sie diese Sätze herausgebracht hatte. Krampfhaft versuchte sie sich auf ihre Worte zu konzentrieren. »Ich bin heute hier, weil ich beschlossen habe, dass ich die Erinnerung an meine Tochter nicht länger im Alkohol ertränken will.« Bei dem Wort »Tochter« sah die Rothaarige plötzlich auf und schaute Fiona mit unverhohlener Neugier an.
    »…und während sich mein Verlobter schon bald wieder in seine Arbeit stürzte, wusste ich auf einmal nichts mehr mit mir anzufangen«, beendete Fiona ihre Erzählung.
    »Prima, Fiona. Es war eine gute Entscheidung, hierherzukommen. Du bist auf dem richtigen Weg«, lobte die Sozialarbeiterin.
    Fiona war heilfroh, als sich ein übergewichtiger Mann, der aussah wie ein Busfahrer, als Nächster zu Wort meldete. Sie spürte, wie die Anspannung schlagartig von ihr wich und sie den nachfolgenden Wortmeldungen vor Erleichterung kaum noch Beachtung schenkte.
    Nach anderthalb Stunden beendete die Sozialarbeiterin das Meeting mit ein paar ermunternden Worten, die den Leuten Kraft geben sollten, um der Versuchung, zur Flasche zu greifen, wenigstens die nächsten vierundzwanzig Stunden zu widerstehen. Und obwohl Fiona noch etwas mulmig zumute war, verließ sie die St.-Justus-Gemeinde mit einem einigermaßen guten Gefühl.
    »Dein erstes Mal, was?«, hörte sie jemanden hinter sich fragen, während sie nach einem Taxi Ausschau hielt.
    »Ja«, sagte sie und drehte sich nach der Rothaarigen um, die ihr auf einmal breit grinsend die Hand entgegenstreckte.
    »Ich bin Theresa.«
    »Fiona.Weißt du ja schon.«
    Theresa, die sich während des ganzen Meetings nicht einmal zu Wort gemeldet hatte, zog ein Feuerzeug und eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche.
    »Und? Kommst du wieder?«, fragte sie und zündete sich eine an.
    Fiona hob die Schultern. »Glaub schon.«
    Theresa zog an ihrer Zigarette und musterte Fiona bedächtig. Dann lächelte sie und tippte mit ihrem Zeigefinger gegen Fionas Schulter.
    »Na klar kommst du wieder. Du musst! Keine Widerrede – rauchst du?«, fragte sie und hielt Fiona ihre Zigarette hin.
    »Eigentlich nicht«, lächelte Fiona verlegen und inhalierte dennoch gierig ein paar tiefe Züge. Einen Moment lang herrschte ein angenehmes Schweigen zwischen ihnen.
    »Gut, dann bis nächsten Donnerstag«, sagte Fiona noch und stieg wenig später in das nächste Taxi.

Sonntag,14. Juni
    (Rund einhundert Kilometer vor Berlin, am Morgen)
    Anne hatte nicht die leiseste Ahnung, wie lange sie

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