Die Spur der Kinder
Opferprofil.«
»Wieso?«
Behrendt seufzte erneut. »Wenn du den Bericht gelesen hättest, wüsstest du, dass die Mutter des Jungen aus Potsdam bei den Vernehmungen zusammengebrochen ist. Sie hat den Beamten gestanden, dass sie ihrem Jungen hin und wieder mehr als nur einen kleinen Klaps auf den Hintern gegeben hat. Scheinbar war’s ihr ein Anliegen gewesen, im Nachhinein noch damit rauszurücken.«
»Du meinst, wenn das bei den anderen entführten Kindern auch der Fall gewesen war, hätten sie alle schon vor ihrem Verschwinden das gleiche Schicksal geteilt …«
»Genau, stellt sich nur noch die Frage, welches Motiv der Täter damit verfolgt«, sagte Behrendt.
Und nach einem kurzen Schweigen sagte sie: »Trotzdem, Piet. Du kannst nicht ewig da im Krankenhausherumsitzen. Willst du mir nicht endlich sagen, was wirklich los ist?«
Karstens antwortete nicht, und für einen Augenblick schien die Leitung wie tot.
»Na schön, wie du willst«, zischte Behrendt und beendete das Gespräch.
Karstens steckte das Handy ein und richtete seinen unruhigen Blick wieder zu den Doppeltüren. Der Geruch von Desinfektionsmitteln erschien ihm mit einem Mal unerträglich.
Als Frauke Behrendt eine halbe Stunde später in ihrem moosgrünen Trenchcoat den Krankenhauskorridor des Sankt-Marien-Krankenhauses betrat, war Karstens inzwischen mit dem Kinn auf der Brust eingenickt.
»Piet?« Sie rüttelte ihn an der Schulter.
Er schlug die Augen auf. »Was machst du denn hier?«, fragte er, sichtlich irritiert.
»Ich war auf dem Nachhauseweg. Im Gegensatz zu dir mache ich nämlich hin und wieder Feierabend. Das nennt sich Privatleben, schon mal davon gehört?«, erwiderte Behrendt und sah mit hochgezogenen Brauen auf die große Wanduhr. Sie setzte sich neben Karstens und schlug die Beine übereinander. »Es ist nicht nur García, die dich hier festhält, stimmt’s?«
Karstens verschränkte die Arme und schielte verstohlen auf seine Coladose.
»Mirmachst du nichts vor«, meinte Behrendt und machte eine kurze Pause, um den nachfolgenden Worten eine höhere Bedeutung zu verleihen. »Es ist wegen Pauline. Hab ich recht, Piet?«
Karstens knackte mit den Fingern.
»Komm schon, Piet. Das letzte Mal, dass du im Sankt-Marien-Krankenhaus gewesen bist, war nach dem Einsatz mit Pauline. Sie fehlt dir noch sehr, was?«
»Schon möglich«, gab er zu und fuhr über die Narbe auf seinem linken Handrücken.
Behrendt holte tief Luft und legte ihre Hand auf Karstens’ Schulter. »Du hast es doch gar nicht nötig, den starken Mann zu spielen, weder vor mir noch vor Schelling oder den Kollegen.«
Der Kommissar schwieg.
»Ich habe übrigens Garcías Mann überprüft«, räusperte sich Behrendt schließlich. »Offenbar hält er sich seit gestern in Caquetá auf, einer Provinz im Süden Kolumbiens.«
Karstens entwich ein leiser Seufzer.
»Dieser Fernando García hat nicht gerade ein kleines Vorstrafenregister«, fuhr Behrendt fort.
»Reicht von Diebstahl und schwerer Körperverletzung bis hin zu Drogenhandel«, zählte sie auf. »Bei den Kollegen von der Drogenfahndung ist er bekannt wie ein bunter Hund. Hat sogar schon mal wegen Kokain-Schmuggel gesessen. Allerdings ist das jetzt fast zehn Jahre her. Seitdem hat ersich nichts mehr zuschulden kommen lassen.« Sie zuckte die Achseln.
»Oder er ist einfach nur cleverer geworden.«
Karstens schob den Unterkiefer vor. »Trotzdem sehe ich da noch keinen Zusammenhang – Gewalt und Drogen sind eine Sache, Kindesentführung und wer weiß was noch eine ganz andere.«
Behrendt bückte sich nach ihrer Handtasche und zog eine Liste mit Namen und Telefonnummern heraus. »Hier. Du wolltest doch eine Auflistung aller getätigten Anrufe von Garcías Festnetzanschluss. Kikki hat bereits alle Anrufe überprüft«, sagte Behrendt und reichte Karstens die Einzelgesprächsnachweise. »Ein Handy hat García offenbar nicht.« Sie tippte mit dem Zeigefinger auf eine rot umkringelte Nummer. »Sieh mal, die hier gehört einem Frauenhaus in Friedrichshain. García hat dort in den letzten zwei Wochen viermal angerufen. Zuletzt am Abend bevor ihre Tochter im Zoo verschwand. Wahrscheinlich wollte sie ihren Mann verlassen«, mutmaßte Behrendt. »Besser spät als nie.«
Sie hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr: »Und jetzt schau mal hier«, ihr Finger blieb bei einem Anruf um 00:56 stehen. »Eine Stunde nachdem García mit dem Frauenhaus gesprochen hat, ist ein Anruf nach Kolumbien getätigt worden.«
»An?«
»An
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