Die Spur der Kinder
unmittelbar davorstand, kam ihr der Laden für Aufsperrdienste und Tresor-Öffnungen noch kleiner und heruntergekommener vor, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sie klopfte gegen die schmutzige Glasscheibe und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser hineinsehen zu können. An der Tür hing ein blaues Schild mit der Aufschrift »Bis 18 Uhr geöffnet«. Dennoch war die Tür verschlossen. Fiona blickte auf ihre Uhr. Es war Viertel vor sechs. Sie klopfte ein weiteres Mal, doch nichts tat sich. Gerade als sie schon wieder gehen wollte, ertönte hinter ihr eine tiefe, rauchige Männerstimme.
»Such’n Se wen bestimmt’n?«
Blitzschnell wandte Fiona sich um. Vor ihr stand ein rundlicher Mann mit löchrigem Dreitagebart, den Hosenbund bis über den Bauch gezogen.
»Ja, nein, das heißt, ich habe einen Schlüssel dabei und möchte gerne wissen, zu welchem Schloss er passt …«
Der Mann musterte Fiona skeptisch und zog die Nase hoch. »Sind Se von ’ner Behörde oder so wat?«
»Behörde? Nein, wieso?«
»Na, von hier sind Se ja wohl nischt, wa«, stellte er fest, als er an Fiona heruntersah.
Er nickte knapp und pulte mit seinem Schlüssel im Ohr. »Charlottenburg?«
»Fast«, erwiderte Fiona mit aufgesetztem Lächeln.
»Und,ham Se zu Ihrem Schlüssel denn ooch die dazujehörige Schlüsselkarte dabei?«
Sie verneinte.
»Se wissen aber schon, dat ditte illejal is, wat Se da von mir wolln …«
Sie zuckte die Achseln, woraufhin er die Hand auf seinen vorstehenden Bauch legte und ein keuchendes Lachen von sich gab.
»Und da dachten Se, fahr ick doch mal nach Neukölln, da werdn die schon Mittel un Wege findn, wa?«
»Hören Sie, Sie müssen mir ja nicht helfen.«
Noch einmal sah er an ihr herunter, als sein Grinsen schlagartig verschwand. »Na, nu komm’n Se halt erst mal rinn in die jute Stube«, sagte er und schloss die Ladentür auf.
Das wenige Licht, das von außen durch die halb heruntergelassenen Rollläden drang, tauchte den Raum in eine schummrige Atmosphäre. Fiona schlug der modrige Geruch von uralten Duftbäumchen entgegen. Verschlossene Pappkartons stapelten sich bis unter die Decke, so dass die Ladenfläche noch winziger erschien, als sie ohnehin schon war. An den Wänden hingen, neben staubigen Schlüsselrohlingen, vergilbte Werbeposter von Schließanlagen, die vor zwanzig Jahren einmal modern gewesen sein mochten. Alles in allem sah dieser Laden nicht danach aus, als würden hier noch Schlüssel angefertigt.
»Na,denn zeign Se ma her«, ächzte der Mann, während er das blaue Türschild mit der »Geschlossen«-Seite nach außen kehrte.
Fiona griff in ihre Handtasche und legte den Schlüssel auf die Ladentheke. Der Mann schob seinen Unterkiefer zur Seite und kratzte sich am Kinn.
»Dit sieht aber nischt jut aus. Da kann ick Ihnen wohl nischt helfen.«
Fiona griff ein weiteres Mal in ihre Tasche und legte einen Fünfzigeuroschein neben die Kasse, die aussah, als stamme sie aus einem anderen Jahrhundert.
Der Mann schniefte. »So sieht dit natürlich schon wieder janz anders aus …« Er ließ den Schein in seiner Hosentasche verschwinden, musterte den Schlüssel eine Weile und fragte: »Woher ham Se dat jute Stück denn?«
Fiona atmete tief durch die Nase ein. »Das spielt keine Rolle. Ich will nur wissen, zu welchem Schloss er passt.«
Er drehte den Schlüssel zwischen seinen kurzen, fleischigen Fingern. »Keen Zweifel, der gehört eindeutig zu ’nem Wohnungstürschloss. Is aber eher eener der einfacheren Sorte, nischt gerade von ’nem Sicherheitsschloss.«
»Und? Ist es möglich herauszufinden, zu welcher Wohnung er genau passt?«
»Seh ick aus wie ’n Hellseher, oder wat?« Er drehtesich nach einer Schublade um, über der ein Poster mit einem leichtbekleideten Mädchen hing, das mit gespreizten Beinen und halbgeöffnetem Mund lasziv in die Kamera schaute. Der Mann zog einen zerfledderten Katalog aus der Schublade. Er schlug das Inhaltsverzeichnis auf und blätterte einige Seiten weiter.
»Da ham wa ’n ja«, stellte er fest und deutete mit dem Zeigefinger auf den abgebildeten Schlüssel. »Wie ich’s mir gedacht hab, dat is ’n altes Ostfabrikat. Diese Schlösser werden heutzutage jar nischt mehr verbaut.«
Fiona sah ihn mit schmalen Augen an. »Und das heißt?«
»Dat heißt, dat Schloss, zu dem der Schlüssel passt, wurde schon vor der Wende einjesetzt. Wenn mich nischt alles täuscht, gibt’s heute nur noch ’n paar Schlösser dieser Art in irgendwelchn
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