Die Spur der Kinder
wandte sich Fiona zu ihrem Vater. Dieser aber deutete nur ein zaghaftes Kopfnicken in Richtung Fionas Mutter an. Fiona hatte nichts anderes erwartet. Ungeduldig fragte sie: »Also?«
Henriette Seeberg nahm eine Tasse mit Goldrand aus dem Porzellanschrank, goss heißes Wasser über einen Teebeutel und erzählte mit hochgezogenen Augenbrauen von einem Mann, der ihnen einen Besuch abgestattet hatte.
»Gott, dieser verdammte Stalker!«, brach es aus Fiona heraus. »Lass mich raten, sein Name war Jens Zach …«
Ihre Mutter sah sie fragend an. »… Zach? Nein, wer soll das sein?«
»Ach … niemand, schon gut«, lächelte Fiona erleichtert, ohne den argwöhnischen Blick, den ihre Mutter ihrem Vater zuwarf, zu registrieren.
»Sein Name war Piet Karstens, er war von der Kriminalpolizei«, entgegnete Henriette Seeberg ernst.
Fiona legte die Stirn in Falten. »Karstens? Aber wieso?«
»Er wollte dich sprechen, offenbar hatte er schon mehrfachversucht, dich auf deinem Handy zu erreichen«, schnitt ihre Mutter ihr das Wort ab.
Fiona zog die Brauen zusammen. »Ja, ja, ich hatte mein Handy nicht dabei.«
»Er stand sogar vor deiner Haustür. Als keiner da war, ist er bei uns vorbeigekommen.«
»Er ist extra zu euch nach Dahlem gefahren?«, wunderte sich Fiona.
Henriette Seeberg hob die Schultern »Es schien ihm sehr wichtig zu sein.«
»Was wollte Karstens denn?«, fragte Fiona mit verschränkten Armen.
Ihre Mutter versenkte ein Stück Würfelzucker im Tee. »Es ging um ein kleines Mädchen. Lina, Lana oder so ähnlich, irgend so was Ausländisches …«
Fiona nahm die unterschwellige Andeutung ihrer Mutter sehr wohl zur Kenntnis, überging diese jedoch zugunsten ihrer Neugierde.
»Du meinst Luna?«
Kaum hatte Fiona den Namen ausgesprochen, da spürte sie, wie ihr plötzlich ganz anders zumute wurde.
»Sag bloß, du kennst das Mädchen?«, fragte Henriette Seeberg, sichtlich beunruhigt.
Fiona starrte ihre Mutter mit halbgeöffneten Lippen an. »Ja, ja«, sagte sie schnell, »Luna García geht in dieselbe Kita wie Sophie damals.«
Die Blicke ihrer Eltern trafen sich.
»Indieselbe Kita?«, fragte Henriette Seeberg. Die Frage klang mehr wie eine Feststellung.
»Nun sag schon, was ist mit ihr?«, hakte Fiona nach, als sie urplötzlich begriff. »Nein! Sag, dass das nicht wahr ist – nicht auch noch Luna!«
Fiona schnappte nach Luft und tastete nach der Stuhllehne, um sich an irgendetwas festzuhalten. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie brachte kein Wort heraus.
»Fiona, es tut uns aufrichtig leid«, hauchte Viktor Seeberg, doch Fiona schenkte den Worten ihres Vaters keinerlei Beachtung. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann zu schluchzen. Im nächsten Moment spürte sie die Umarmung ihrer Mutter.
»So eine schreckliche Geschichte. Da wird dieses kleine Mädchen einfach so mir nichts, dir nichts aus dem Berliner Zoo entführt«, sagte Henriette Seeberg leise und strich Fiona behutsam über den Hinterkopf.
Eine Zeitlang war es ganz still in der Küche, als wäre jedes Wort ein Wort zu viel.
»Aber warum wollte dir dieser Kommissar das eigentlich persönlich mitteilen?«, fragte Henriette Seeberg vorsichtig nach.
Fionas Schluchzen wurde lauter. »Er hatte es mir versprochen. Falls wieder ein Kind entführt werden würde, sollte ich es von ihm und nicht aus der Presse erfahren. Aber ausgerechnet Luna …« Ihre Stimmebrach, und kurzzeitig war sich Fiona nicht sicher, ob ihre Tränen Luna oder Sophie galten.
»Ausgerechnet«, wiederholte Henriette Seeberg und schüttelte langsam den Kopf.
»Immerhin scheint sich dieser Kommissar an eure Abmachung gehalten zu haben oder hat es zumindest versucht, auch wenn sein Timing äußerst unpassend war«, ließ sich Viktor Seeberg vernehmen.
»Wie meinst du das?«
Viktor Seeberg wich Fionas Blick aus und hüstelte. »Die van Andreesens von schräg gegenüber waren gerade zum Brunch da, als er klingelte.«
Fiona verzog irritiert das Gesicht. »Und weiter?«
Henriette Seeberg seufzte und machte eine unbestimmte Geste. »Nichts weiter. Glücklicherweise haben die van Andreesens nicht mitbekommen, worum es im Einzelnen ging. Trotzdem wissen sie jetzt, dass die Kripo bei uns im Haus war. Und wenn es Emma van Andreesen weiß, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das in ganz Dahlem die Runde macht.«
Fionas Miene verdunkelte sich.
»Du weißt ja, dass dein Vater Teile des Unternehmens verkaufen will«, fuhr Henriette Seeberg fort, wrang den Teebeutel
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