Die Spur der Kinder
bekommen, während er mit weit aufgerissenen Augen hinaufstarrte.
Sekunden oder Minuten später nahm er im Gegenlicht der Mittagssonne zwei Silhouetten wahr. Ein letzter Funken Hoffnung keimte in ihm auf, erstickte jedoch ebenso schnell wieder, als sich Funks Blick schärfte und er seinen Peiniger erkannte.
»Dachtest wohl, du könntest mich überlisten, was?«
Der Mann lachte in nahezu kindlichem Tonfall. »Böser Junge.«
Funkspähte auf den Spaten in seiner Hand und brachte nicht mehr als ein dumpfes »Mhmh, hmmmh!« heraus, während er mit ansehen musste, wie Schaufel um Schaufel Erde auf ihn herabregnete und ihn lebendig begrub. Obgleich er wusste, dass es kein Entkommen mehr gab, dass er hier und jetzt sterben würde, wand er sich wie ein Wurm und riss den Kopf von links nach rechts, um die Erde, die auf sein Gesicht fiel, abzuschütteln.
Mehr und mehr Erde regnete auf ihn hinab. Alsbald erschien ihm alles wie ein ferner Traum, in dem er nur noch Statist war.
Plötzlich tauchte halb verschwommen eine zweite Gestalt in seinem Blickfeld auf, die ihn milde anlächelte und eine weiße Lilie zu ihm hinabwarf. Sein Herz setzte sekundenlang aus, als er erkannte, wer die andere Gestalt war, und er jäh begreifen musste, weshalb nicht nur er, sondern auch die entführten Kinder niemals gefunden werden würden.
Sonntag,28. Juni
(In Berlin)
Der hämmernde Schmerz in ihrem Kopf riss Fiona unsanft aus dem Schlaf.
Unendlich viele Whiskys. Und danach? Totaler Filmriss.
Gerädert rieb Fiona sich die Augen, hob die Bettdecke an und stellte fest, dass sie vollkommen nackt war. Sie schreckte auf und umklammerte die Decke. Ihre Augen wanderten durch das abgedunkelte Zimmer, das lediglich von einem schmalen Lichtstreifen beleuchtet wurde, der durch die offenstehende Tür fiel. Fionas Büstenhalter und ihr schwarzer Slip lagen zwischen einem Feinrippunterhemd und einer Männerjeans auf dem Boden verstreut.
Sie brauchte einige Sekunden, ehe die Erinnerung an die vergangene Nacht in ihr erwachte und ihr bewusst wurde, in wessen Bett sie augenblicklich lag. Das Prasseln der Dusche drang aus dem Badezimmer.Kurz darauf das gutgelaunte Pfeifen von Piet Karstens.
»Au Scheiße!«, stieß Fiona leise aus, sprang aus dem Bett und klaubte rasch ihre Sachen vom Boden auf. Ihre Ballerinas fand sie im Wohnzimmer, als das Telefon auf dem Couchtisch lautstark auf sich aufmerksam machte. Viermal, fünfmal, nach dem sechsten Klingeln sprang der Anrufbeantworter an.
»Piet? Wo zum Teufel bleibst du denn? Es ist bereits zwanzig nach neun. Schelling tobt!«, hörte sie Frauke Behrendt nach dem Piepton sagen. »Übrigens habe ich nach deiner SMS gestern Abend sicherheitshalber doch noch diese Theresa Parloff obduzieren lassen. Laut Befund der Rechtsmedizin hat die Gute tatsächlich schon seit Jahren keine Drogen mehr genommen. Dass sie sich den Schuss selbst gesetzt hat, würde also nicht wirklich Sinn machen. Die Kollegen befragen derzeit übrigens noch Parloffs Nachbarn. Irgendwer muss doch was gesehen haben …«
Fiona, die sich gerade aus der Wohnung schleichen wollte, blieb wie versteinert im Raum stehen.
»Aber jetzt halt dich fest«, hörte sie Behrendts Stimme weiter sagen. »Hinter einer losen Kachel im Badezimmer ihrer Wohnung hat die Spurensicherung einen Haufen Bargeld sichergestellt. Satte dreißigtausend Euro, um genau zu sein. Ein hübsches Sümmchen – beim Escort-Service dürfte sie daswohl kaum verdient haben, denn nach Angaben ihres Vermieters war sie mit ihrer Miete bereits mehrere Monate im Verzug. Und das war längst nicht alles: Neben dem Bargeld lag außerdem noch ein hellgrauer Steiff-Teddybär. Das linke Ohr war abgerissen. Der Plüsch war stellenweise mit dunkelroten Flecken verklebt, ich hab ihn gleich zu Solewski ins Labor schicken lassen.«
Fiona wich jegliche Farbe aus dem Gesicht.
Ein hellgrauer Steiff-Teddybär, dem das linke Ohr fehlte. Das war eindeutig Sophies Teddy. Um Himmels willen, was ist damals mit meinem kleinen Mädchen passiert?
Für einen Moment wurde Fiona ganz schwindelig vor Wut, und sie hatte nun mehr denn je das Gefühl, dass Adrian ihr etwas verschwieg. Sie sah auf ihre Uhr.
Er wollte spätestens am Mittag aus Frankreich zurück sein.
Entschlossen blickte Fiona sich um, hob sämtliche Kissen hoch und durchwühlte in Windeseile den Kleiderschrank, ehe sie im obersten Fach unter den Pullovern fand, wonach sie gesucht hatte: Karstens’ Waffe.
Plötzlich hörte sie, wie das
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