Die Spur der Kinder
steckte die Zigarette zwischen ihren Lippen an. »Sie auch eine?«
Wiederein Grinsen. »Na gut«, meinte er und nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette, die sie ihm an den Mund führte, während er weiter nach vorne schaute. Fiona sah, wie Karstens inhalierte, und als sie den nächsten Zug nahm, setzte sie an der Stelle an, an der seine Lippen die Zigarette berührt hatten.
In den nächsten Minuten fiel kein Wort zwischen ihnen. Sie rauchten und schwiegen miteinander. Und für den Moment schien dies vollkommen auszureichen.
»Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte Fiona, nachdem sie einige Straßen hinter sich gelassen hatten und Richtung Friedrichshain eingebogen waren.
Karstens’ Augen flackerten bei seiner Antwort. »Ich dachte, vielleicht nehmen wir noch einen Drink – bei mir.«
Fiona schnippte ihre Zigarette hinaus und betrachtete die nachtgrauen, am Fenster vorbeifliegenden Wohnhäuser. Dann drehte sie sich lächelnd nach Karstens um.
»Nur wenn Sie wollen natürlich«, schob Karstens verunsichert nach.
»Okay«, erwiderte Fiona, selbst ein wenig überrascht von ihrer Antwort. Doch heute Nacht wollte sie nicht allein sein.
DieWohnung von Piet Karstens lag im zweiten Stock eines frisch gestrichenen Neubaus und sah aus wie eine typische Junggesellenwohnung. Und genau so, wie Fiona sie sich vorgestellt hatte. Leere Sixpacks auf dem Wohnzimmertisch, haufenweise DVD s, getragene Jeans und T-Shirts auf der Couch und dem Fußboden. Allenfalls die dezente Moschusnote, der vertraute Duft eines Parfums, mit dem sie Karstens seit jeher in Verbindung brachte, zeugte davon, dass hier ein erwachsener Mann wohnte. Fiona schwankte ins Badezimmer. Eine braungebrannte Frau lächelte sie von einem Urlaubsschnappschuss an, während Fiona den Hahn aufdrehte, sich die Hände wusch. Die Frau sah glücklich aus, dachte Fiona, spritzte sich eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete sich mit einem Frotteehandtuch ab. Ihr Spiegelbild blickte sie fragend an.
Und? Was jetzt, Fiona?
Sie brauchte einige Sekunden, bis sie sich wieder gefangen hatte und aus dem Badezimmer treten konnte.
»Hier, ein zwanzig Jahre alter Schotte«, rief Karstens scherzhaft und hielt eine Whiskyflasche hoch.
Fiona lächelte leicht schief, als sich alles um sie herum erneut zu drehen begann und sie abermals ins Torkeln geriet. Piet Karstens machte einen Satz in Fionas Richtung und konnte sie gerade noch auffangen,bevor ihre Beine unter ihr wegknickten. Mehr um sich an ihm festzuhalten, schlang Fiona die Arme um seinen Hals, als sich ihre Nasenspitzen flüchtig berührten. Das Nächste, was Fiona registrierte, waren Piet Karstens’ feuchte Lippen, die sich ihren Hals bis zu ihrem Mund hinauftasteten, während sie Karstens noch immer fest umschlang.
Ein alter Impuls in ihr verlangte nach Gegenwehr, doch sie schüttelte ihn ab, wie eine Altlast aus einem vergangenen Leben, und ließ sich von Karstens widerstandslos ihre Ballerinas abstreifen und ihre Hose aufknöpfen. Sie hatte nicht die geringste Lust, sich zu fragen, was hier gerade anfing und wo das enden würde. Stattdessen schloss sie die Augen und spürte, wie Karstens’ Hand unter ihre Tunika fuhr und sich unter ihren BH schob. Seine Finger umkreisten ihre Brustwarzen, während Fionas Hand wie von selbst Karstens’ Hemd aufknöpfte und über seinen muskulösen, spärlich behaarten Oberkörper fuhr.
Jede Berührung schien vertraut, jede Bewegung eingespielt, beinahe so, als ob sie sich schon hundertmal berührt hätten. Blitzschnell befreite Fiona ihn von seinem Gürtel und öffnete die Knöpfe seiner Jeans, bevor sie sich von Piet Karstens ins Schlafzimmer tragen ließ.
***
(Ineinem Wald vor Berlin)
Gräuliche Wolkenfetzen zogen über den Himmel, rasend schnell oder unendlich langsam, er konnte es nicht genau sagen. Nichts schien mehr von Belang. Langsam kam Sascha Funk wieder zu sich und spürte die feuchte Erde an seiner nackten Haut. Sein blutverschmierter Körper war mit Kratzspuren und aufklaffenden Bisswunden übersät. Hände und Füße waren mit Kordeln gefesselt. Panisch sah Funk sich um, und es dauerte eine Weile, ehe er begriff, dass er in einem mannsgroßen, ungefähr zwei Meter tiefen Erdloch lag. Der silberne Klebebandstreifen über seinem Mund machte es ihm unmöglich, zu schreien. Vage kamen ihm wieder die hilflosen Schreie der kleinen Luna García in den Sinn. Dann die beiden Rottweiler. Funk schwitzte am ganzen Körper und versuchte, durch die Nase Luft zu
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