Die Spur der Kinder
hat sich ja gelohnt«, murrte der Taxifahrer.
»Hier,stimmt so.« Sie entschädigte ihn mit einem Zehneuroschein und stieg aus dem Wagen. Ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchte, folgte Fiona einer dicken, getigerten Katze den Treppenaufgang hinauf ins Haus.
Im Flur hingen Hirschgeweihe und aufgespießte Schmetterlinge hinter Glaskästen. Ein seltsamer, ammoniakdurchdrungener Gestank stach Fiona in der Nase, je tiefer sie in das Haus eindrang.
»Frau Schneider?«, rief sie, während sich eine weitere Katze schnurrend zwischen ihren Beinen schlängelte. Es kam keine Antwort. Fiona hielt sich ihr blaues Seidentuch vor Mund und Nase und sah sich neugierig um, als sie hinter der Tür zum Wohnzimmer noch mehr Katzen erblickte. Getigerte, gescheckte, schwarze, braune, weiße – mein Gott, das müssen mindestens zwanzig sein. Wahrlich in jedem Winkel des Raums fauchte oder miaute es. Die Tiere wirkten ebenso verwahrlost wie die heruntergekommene Couchgarnitur, die mit Kratzspuren, Katzenhaaren und Urinflecken übersät war. Fiona konnte kaum glauben, dass sie sich im Haus der nach außen stets gepflegt erscheinenden Kita-Leiterin befand.
»Frau Schneider, sind Sie zu Hause?«, versuchte sie es erneut.
Wieder nichts. Beunruhigt folgte Fiona den gerahmten Auszeichnungen an der Wand, die Ulrike Schneider für sozialpädagogische Tätigkeiten ehrten,die Kellertreppe hinunter, bevor sie vor einem Gruppenfoto der Kita Grünfink stehen blieb. Auch Sophie war auf dem Bild. Vertieft betrachtete Fiona ihr kleines Mädchen, das links außen neben Sascha Funk und Renate Pohl saß und das einzige Kind auf dem Bild war, das nicht lachte. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, und sie zwang sich, ihren Blick auf eine alte Fotografie an der Kellertür zu lenken, die Ulrike Schneider mit ihrem verstorbenen Mann vor der damals neu erbauten Kita zeigte. Plötzlich hörte Fiona einen seltsamen Laut, der von einer Katze hätte stammen können. Instinktiv legte sie ihre Hand auf die Klinke und öffnete die Tür. Dahinter verbarg sich ein abgedunkelter Raum, in dem Fiona eine schauerliche Regallandschaft erkannte, bis oben hin voll mit Tierpräparaten. Ausgestopfte Vögel, Luchse, Eichhörnchen und ein Marder, der sie mit weit aufgerissenem Maul bedrohlich anfunkelte.
»Suchen Sie was Bestimmtes, Frau Seeberg?«
Erschrocken wandte Fiona sich um.
»Frau Schneider, ich, nein, ich wollte nur … ich habe Sie gesucht.«
»Hier unten?«, fragte Schneider mit gespielter Freundlichkeit. Ihre Hüfte umspannte eine Gartenschürze, und ihre dürren Beine steckten in Gummistiefeln. Ihr graues Haar war zerzaust und verlieh ihr etwas Hexenartiges.
»Äh, nein, die Fotos«, stammelte Fiona, als sie dieelektrische Heckenschere in Schneiders rechter Hand bemerkte, und deutete rasch auf die Bilder an der Wand. »Ich habe die gesehen und …«
Schneiders Blick folgte Fionas Fingerzeig.
»Und da dachten Sie, schaue ich doch mal nach, was die alte Schneider für Leichen im Keller hat?«
Fiona starrte sie an und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
Schneider grinste. »Das war nur ein Scherz, Frau Seeberg.« Mit einer schnellen Handbewegung schloss Schneider die Kellertür, bevor sie ihr aufgesetztes Lächeln erneuerte. »Sie müssen meinen Aufzug entschuldigen, die Kita wurde vorübergehend geschlossen, und da dachte ich, ich nutze die Zeit, um den Garten auf Vordermann zu bringen. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?«
Erst jetzt registrierte Fiona die Blumen in Schneiders Hand.
Lilien. Weiße Lilien.
Ihr blieb fast das Herz stehen. Die Erinnerung an jene Blume fühlte sich augenblicklich lebendiger denn je an. »Äh, nein, ich … ich muss leider schon wieder los«, sagte sie rasch und hastete an Schneider vorbei die Treppe hinauf.
»Na gut, dann eben ein anderes Mal«, murmelte Ulrike Schneider und blickte ihr mit einem tückischen Lächeln nach.
***
(ImBerliner Polizeipräsidium)
»Gibt’s hier was zu feiern?«, erkundigte sich Kommissar Piet Karstens, als er die Kaffeeküche des Präsidiums betrat und das Blech Streuselkuchen erspähte. Erst als er sich an den Bauch griff, fiel ihm auf, dass er seit geraumer Zeit nichts gegessen hatte. Seine Kollegen musterten ihn verstohlen, als sei er bis eben Gesprächsthema ihres Kaffeeklatschs gewesen.
»Der Schelling hat heute Geburtstag«, erklärte Kikki schließlich und zog ihre tiefsitzende Jeans hoch, um ihren über den Bund quellenden Hüftspeck zu verbergen.
Das Stück
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