Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
Vom Netzwerk:
Wasserschläuchen. Sie blieben stehen, als sie Mira sahen, und der Größere, von dem sie wusste, dass es Tom war, ließ den Schlauch fallen und starrte sie bloß an.
    Sie hatte keine Ahnung, wie lange der Augenkontakt andauerte, sicher nicht mehr als fünf Sekunden, aber Mira erschien es wie ein ganzes Leben. Seine dunklen Augen glitzerten wie nasser Asphalt, die Sonne küsste seine glatten, wundervollen Wangen, und plötzlich sah sie ihn auf dem Boden des Supermarktes liegen, vierundzwanzig Jahre später, in einer Blutlache, und ihre Füße lösten sich von der Veranda. Ihre Beine trugen sie durch den Garten. Er kam ebenfalls auf sie zu. Sie wurden wie von einer unerklärlichen Kraft voneinander angezogen, die sie Jahre später wieder zueinander ziehen würde, während sie bei Gericht anstanden, um Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit zu zahlen.
    Sie blieben ein paar Zentimeter voreinander stehen, und alles andere schien für sie zu verschwinden. Es gab nur noch sie zwei, einen Junge in Annies Alter und eine Frau von vierzig Jahren, die sich über den unbegreiflichen Kontinent des menschlichen Herzens hinweg anstarrten und versuchten, auf irgendeiner Ebene zu begreifen, was sie fühlten.
    »Ich … ich habe deiner Mutter einen Umschlag gegeben, Tom«, sagte sie. »Ich habe ihr gesagt, er wäre von der Schule, aber das ist er nicht. Ich hoffe, du liest meinen Brief und behältst ihn viele Jahre lang.«
    Er sagte nichts. Das Schweigen dauerte so lange, dass sie sich dumm vorkam und abwandte, um durch das heiße Licht zu Fontaines Wagen zurückzugehen.
    »Moment«, sagte Tom plötzlich und lief hinter ihr her. »Wer sind Sie?«
    »Mira. Ich heiße Mira.«
    »Habla español?«
    »Claro que si.«
    In dem Moment, wo sie es sagte, wurde ihr klar, dass sie genau dieses Gespräch an dem Tag, an dem sie sich trafen, gehabt hatten – oder haben würden, je nachdem, wie man es betrachtete. Tom hatte sie versehentlich in der langen, langsamen Schlange im Gerichtsgebäude angerempelt, und sie hatte sich umgesehen, genervt durch die Warterei, die Bürokratie, und er platzte heraus: »Wer sind Sie?« Hieß das, dass er sich jetzt an diese Augenblicke erinnerte, in dieser verdrehten, verrückten Version der Ereignisse? Würde er ihr deswegen später sagen, dass dieser Augenblick im Gerichtsgebäude seinen Glauben an Wunder bestätigt hatte? »Jahrelang, Mira, sah ich im Geiste eine Frau vor mir, und als ich dich an diesem Tag sah, wusste ich, dass du diese Frau bist.«
    Es lief auf die alte, bekannte Frage heraus: Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei?
    »Woher wissen Sie meinen Namen?«, fragte er.
    »Das ist kompliziert. Lies einfach den Brief, okay? Und glaub immer daran, dass du sein kannst, was du willst, was immer du dir vorstellen kannst.«
    Sein Freund rief nach ihm, aber Tom sah sich nicht um, er reagierte gar nicht auf ihn. Seine dunklen Augen blieben auf ihr Gesicht fixiert, voller Fragen, Erstaunen, Verwirrung. »Wollen Sie etwas Komisches hören? Ich hatte einmal einen Traum, in dem eine Frau, die genauso aussieht wie Sie, mit mir über mein Leben gesprochen hat, über meine Zukunft. Sind Sie echt?«
    Mira lachte. »Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis. Ich hatte einen Traum, in dem ein Kind, das genauso aussieht wie du, mir genau dieselbe Frage gestellt hat. Du wirst ein Anwalt werden, Tom. Du wirst eine Tochter namens Annie haben, eine Frau, die dich liebt, und sie wird dir immer sagen, dass du nicht in Supermärkten einkaufen sollst.«
    Er grinste. »Warum sagt sie das?«
    »Weil es wirklich wichtig ist. Vergiss das nicht. Ich muss jetzt los.«
    Sie eilte davon, bevor er noch etwas sagen konnte, und rannte beinahe zu Fontaines Wagen. Wird dich das retten? Wird das deinen Tod 1992 verhindern?
    Und Mira wusste plötzlich, dass es dies war, was Wheaton und sie gemeinsam hatten. Sie liebten beide jemanden, der gestorben war, und jetzt fanden sie sich in einer Zeit vor diesen Todesfällen wieder und konnten nicht der Versuchung widerstehen zu versuchen, es zu ändern – sie auf ihre Weise und er auf seine. Tom war ermordet worden, Eva sollte in Billy Macons Wagen den Tod gefunden haben – Mira hatte es gesehen, als sie dem jüngeren Wheaton die Hand gegeben hatte. Mit anderen Worten, beide waren infolge der Handlungen von jemand anders gestorben. Keine schlichten Herzinfarkte oder Hirnschläge. Es waren Todesfälle, die hätten verhindert werden können.
    Wheatons erster Schritt in diese Richtung hatte

Weitere Kostenlose Bücher