Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
Vom Netzwerk:
auf der kleinen Anzeige. »Ich hoffe, du hast etwas Neues«, sagte Sheppard ohne Gruß.
    »Ja, und es sind gute Nachrichten. Die Techniker im Labor glauben, dass sie etwas Brauchbares auf den Fotos von Miras Kamera gefunden haben.«
    Etwas, das sich anfühlte wie Hoffnung, breitete sich in Sheppards Blutkreislauf aus. »Wie brauchbar?«
    »Richmond hat nichts Genaueres gesagt. Sie meinte bloß, wir sollten unseren Hintern ins Labor bewegen.«
    »Ich bin in dreißig Minuten da.«
    Die Spurensicherung auf Tango Key war winzig im Vergleich zum Labor in der Zentrale des FBI in Quantico, Virginia, 1400 Quadratmeter gegenüber 13.000 Quadratmeter. Jedes Jahr bearbeiteten die Kollegen in Virginia über 20.000 Fälle, nahmen über 170.000 Beweisstücke entgegen und führten über eine Million Untersuchungen durch. Dort waren fünfhundert Laboranten angestellt, und das Labor galt als eines der besten seiner Art weltweit. Das Labor auf Tango konnte weder in der Größe noch beim Personal mithalten. Aber was Geschwindigkeit, Genauigkeit und reine Effektivität anging, rangierte es für Sheppard ganz oben. Es gab Abteilungen für DNA-Analysen, die Untersuchung von Kleinstmengen unbekannter Substanzen, Computer-/Internetbetrug und für verborgene Abdrücke, die mit Fotoanalyse bearbeitet wurden.
    Die entsprechende Abteilung wurde geleitet von Tina Richmond, einer Ärztin aus Nordminnesota, die die Temperatur in ihren Räumen im dritten Stock auf etwa sechzehn Grad eingestellt hatte. »Mein Gott, Tina. Hier schneit’s ja gleich«, jammerte Goot.
    Sie zwinkerte Sheppard zu. »Ein sicherer Hinweis auf kubanische Gene.«
    Tina war Ende vierzig, gutaussehend, groß und knochig gebaut, und sie kümmerte sich mit demselben Pflichtbewusstsein um ihren Körper, das man auch ihrer Arbeit anmerkte. Sie war seit fünfzehn Jahren mit einem Anwalt hier verheiratet, hatte aber bestimmt zuvor schon etliche Herzen gebrochen. Wie Sheppard war sie Läuferin, und er wusste, dass sie letztlich aus demselben Grund lief wie er: Nicht für die Gesundheit oder ein langes Leben, sondern aus einem tiefen Bedürfnis nach Einsamkeit und Besinnung.
    »Meinetwegen muss es nie unter fünfundzwanzig Grad sein«, sagte Goot leicht pikiert.
    »Ich habe eine Wasserprobe, die ich gern getestet hätte«, sagte Sheppard.
    »Jetzt gleich?«, fragte Tina.
    »Wenn du Zeit hast.«
    »Also jetzt gleich«, murmelte Tina und führte sie zwischen einer Reihe Computern hindurch durch das Labor in ihr Büro. Sie schloss die Tür, deutete auf die Stühle vor ihrem Computer. »Diese Fotos erzählen eine ziemlich eindeutige Geschichte.« Sie setzte sich auf den mittleren Stuhl vor dem Bildschirm. »Und danach beschäftigen wir uns mit dem Lappen, den ihr gefunden habt.« Ihre Finger tanzten über die Tasten, und eine Reihe Fotos erschienen, jedes beschriftet mit Zeit und Datum. Aber auch ohne die Uhrzeit hätten die Schatten auf dem Sand und die Position der Sonne ihnen verraten, dass es später Nachmittag war.
    Hier posierte Annie für die Kamera. Mira alberte herum. Dann folgte eine Aufnahme des Strandes und des Bootes, der Kühlbox, Miras Rucksack und der untergehenden Sonne. Anschließend ein Foto den Strand entlang, jemand war in der Ferne zu sehen. Dann eine bessere Aufnahme dieser Person. Und jetzt begann Tina zu zaubern, sie zog einen Rahmen um den Fremden und einen Gegenstand, vergrößerte sie, beschnitt das Bild, vergrößerte und beschnitt wieder und wieder.
    »Dieser Typ taucht plötzlich auf, etwa siebenhundert Meter den Strand hinunter. Sein Boot sieht recht einfach aus. Es hat einen Außenbordmotor, nichts Auffälliges. Eine Angel ragt auf einer Seite heraus. Jetzt der Mann selbst.«
    Mehr Tastenklicken. Mehr Zauberei. Das Bild des Mannes war unglaublich körnig. Unbrauchbar, dachte Sheppard. Aber dann tat Tina etwas, er konnte nicht genau sagen, was, und plötzlich war der Mann deutlicher zu erkennen – nicht sein Gesicht, aber seine Größe, sein Körperbau und ein dunkler Schatten auf seinem rechten Arm.
    Nein, kein Schatten. Ein Gips. Das war definitiv ein Gips.
    Sheppard und Goot warfen einander einen Blick zu, und er wusste, dass sie beide dasselbe dachten: ein falscher Gips. Er wollte harmlos wirken.
    Vor Jahren, als Sheppard auf der Suche nach Frauen durch die Bars gezogen war, hatte er einen Mann kennengelernt, der eine ähnliche, wenngleich ungefährliche Hilfsmaßnahme verwendet hatte: einen Vogel, den er auf der Schulter mit sich herumtrug, einen

Weitere Kostenlose Bücher