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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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sah aus, als stünde er kurz vor einem Herzinfarkt, Goot hatte die Fäuste geballt, und die Luft zwischen ihnen knisterte vor Zorn. »Meine Güte, Steven«, sagte Julia Lenier mit angespannter, kaum kontrollierter Stimme. »Lass uns allein.«
    Er hatte genug Verstand, um davonzumarschieren, schlug aber mit seiner Reitgerte nach allem, was er erreichen konnte. Er machte klar, dass er mit keinem der Beteiligten fertig war. Julia Lenier fuhr dann fort, ohne sich erneut für ihren Mann zu entschuldigen. »Wir haben eine Weile gebraucht, um das Geld zurückzuverfolgen, mittlerweile war Patrick verschwunden und auf dem Konto waren bloß 1000 Dollar oder so.« Sie unterbrach sich und sah Sheppard mit echtem Mitgefühl an. »Es tut mir sehr leid wegen der Tochter ihrer Verlobten, Mr Sheppard.«
    Minuten später fuhren Sheppard und Goot den gewundenen Feldweg zurück, sie hatten jetzt einen dicken Umschlag voller Notizen und Fotos und Zeitungsausschnitten und einen Namen, den sie durch jede Datenbank jagen konnten, die ihnen zur Verfügung stand. Endlich, dachte Sheppard, hatten sie eine Spur, die vielleicht etwas bringen würde.

Dreizehn
    Mira maß das Vergehen der Zeit am Auf- und Untergehen der Sonne. Doch das erwies sich als unzureichend, denn manchmal, wenn sie erwachte, war es dunkel, und sie wusste nicht, ob sie einen ganzen Tag verschlafen hatte oder nur ein paar Stunden weggedöst war.
    In ihren wacheren Augenblicken war Mira klar, dass sie hohes Fieber hatte und ihr nichts half – kein kühlendes Bad, kein Eispäckchen, nicht einmal das Aspirin, das sie an ihrem ersten Abend in dem kleinen Supermarkt der Kolonie gekauft hatte. Sie blieb in der Hütte, lutschte Eiswürfel, zitterte unter einer Decke, knabberte manchmal an einer der Mangos, die sie gekauft hatte, und versuchte, nicht an Annie zu denken, die sicher genauso allein und verloren war wie sie. Sie zwang sich, ab und zu zu duschen, auf die Toilette zu gehen, ein paar Notizen auf ihrem Pocket-PC anzufertigen, in denen sie beschrieb, wie es ihr ging. Sie wusste nicht genau, warum sie sich die Mühe eigentlich machte, glaubte aber, es könnte später vielleicht wichtig sein.
    Mira plagte sich auch mit dem entsetzlichen Lärm in ihrem Schädel. Manchmal war es nur ein weißes Rauschen, nervend, aber erträglich. Sie nannte das weiße Rauschen Stufe eins. Andere Male war es das Summen, das sie schon kannte, es variierte von einem sanften und beinahe melodischen Klang – Stufe zwei – bis zu dem schmerzhaften Kreischen, das sie gehört hatte, als sie aus Lydias Hand las, Stufe drei.
    Manchmal wandelte sich der Lärm ganz und gar, er wurde unbeschreiblich körperlich schmerzhaft, als wollte ihr Schädel implodieren. Das war Stufe vier. Dieser Zustand hielt zehn bis zwanzig Minuten an, und danach fühlte sie sich vollkommen zerschlagen. Sie erbrach alles, was sie aß oder trank, ihre Beine fühlten sich weich und unsicher an, wenn sie ging, ihr war schwindelig, und sie war zu schwach, um irgendetwas zu tun, außer zu schlafen. Diese Phase dauerte scheinbar ewig, und sie wechselte zwischen tiefem, traumlosen Schlaf und Zeiten, in denen sie träumte, Visionen hatte, Stimmen hörte. Manchmal gipfelte ihr Fieber in einem Delirium und wischte ihr Gedächtnis leer.
    Sie vermutete, dass die Quelle dieses Lärms das Ergebnis dessen war, was ihr draußen in der Dunkelheit des Golfs widerfahren war, dieses unmögliche Ereignis, das sie fünfunddreißig Jahre durch die Zeit katapultiert hatte. Es hatte psychisch irgendetwas mit ihr angestellt, hatte alle ihre Wahrnehmungskanäle geöffnet, erlaubte ihr, Dinge detailliert wahrzunehmen, die sie bislang noch nicht hatte sehen können. Sie fing langsam an, die Feinheiten zu verstehen, hatte aber immer noch keine Möglichkeit gefunden, es zu kontrollieren.
    Die körperliche Manifestation und die damit einhergehenden Einschränkungen machten ihr die meisten Sorgen. Sie war nicht nur krank und allein, sie war auch in der falschen Zeitzone und kannte niemanden, dem sie ihre Situation anvertrauen konnte. Es war schlimmer, als allein und krank in einem fremden Land zu sein. Sie konnte nicht einfach zum Flughafen gehen und nach Hause fliegen; sie hatte keine Ahnung, wie zum Teufel sie überhaupt hierher gelangt war oder wie sie zurück in ihre eigene Zeit kommen sollte, und selbst wenn doch, würde sie sowieso nicht ohne Annie gehen.
    Ihre Tochter war irgendwo auf der Insel und noch am Leben, so viel spürte sie. Und wenn sie hier

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