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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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haben?«
    »Der wurde mit meinen anderen Sachen gestohlen. Ich beantrage einen neuen.«
    »Vergessen Sie’s. Geben Sie mir die Nummer einfach, wenn Sie den neuen haben.«
    »Mache ich, danke.«
    »Wir vermieten auch Fahrräder, und hier ist eine Karte der Insel, auf der alles Wichtige drauf ist, der Supermarkt und der Waschsalon zum Beispiel, und auch der Fahrplan der Fähren.«
    »Toll.«
    »Oh, und Jake hat Ihnen vor zwei Tagen telefonisch eine Nachricht hinterlassen. Er hat gefragt, ob Sie ihn anrufen könnten. Hier ist seine Nummer.« Er wandte sich um und zog ein Stück Papier aus dem Schlitz für Hütte elf, dann reichte er ihn ihr. »Lydia hat gesagt, dass Sie nach Ihnen gesehen hat und dass Sie krank waren. Geht es Ihnen jetzt wieder gut?«
    »Besser, danke.«
    Er beugte sich vor, Ellenbogen auf dem Tisch. »Lydia hat gesagt, Sie sind Wahrsagerin.«
    Scheiße, nicht jetzt, bitte. Sie fürchtete, wenn sie für jemanden läse, würde das weiße Rauschen zurückkehren, und dann das Summen und das Kreischen, und – zack – läge sie wieder im Bett. »Und Jake hat gesagt, Sie sind ein Dichter«, entgegnete sie. Er zuckte mit den Achseln. »Möchtegerndichter. Ich habe ein paar Sachen in den Lokalblättern untergebracht, aber nichts Großes.«
    »Das wird sich ändern.«
    Er lächelte wieder freundlich. »Ist das eine Wahrsagung?«
    Er würde es nicht gut sein lassen. Und früher oder später musste sie sich sowieso ausprobieren, sie musste herausfinden, ob sie ihre Fähigkeiten nutzen könnte oder ob die schrecklichen Töne zurückkehren würden, und mit ihnen auch das körperliche Leid. Und kaum dachte sie das – kaum erlaubte sie es sich –, erschien ein Licht um ihn herum. Ein eiförmiger Schein in vielen Farben. Sein Kraftfeld. Darin sah sie Informationen.
    »Dort oben«, sagte sie leise und deutete auf seine rechte Schläfe, »ist dein Vater. Und hier drüben« – jetzt zeigte ihr Finger auf seine linke Schläfe – »ist deine Mutter. Sie waren sehr jung, als du geboren wurdest, und hatten keine Ahnung, was es hieß, Eltern zu sein. Als du auszogst, bekam deine Schwester ihren Zorn ab, und sie war nie in der Lage, ihnen zu vergeben. Sie …«
    Sie ist tot. Seine Schwester ist tot, eine Überdosis Drogen, ein schmieriges Appartement nach einem Konzert … und er weiß es.
    »… starb an einer Überdosis Drogen.«
    Jetzt streckte sich ein Teil von ihr nach dem Kokon aus Farben, ein paar Zentimeter über seiner Schädeldecke, und ein neuer Informationsfluss eröffnete sich. Es ging um seine Zukunft.
    »Innerhalb eines Monats wirst du ein Angebot bekommen. Es hat etwas damit zu tun, warum du hier bist, in der Kolonie.«
    Und plötzlich öffneten sich zwei Wege in ihrem Geist, beide gleichermaßen gültig, gleichermaßen möglich in diesem Augenblick. Folgte man der linken Abzweigung, sah sie die hohen Gebäude Manhattans und das Schaufenster eines Barnes & Noble-Buchladens, und sie verstand, dass er auf diesem Weg ein großer Dichter werden würde. Aber wenn er den rechten Weg wählte, fand sie ihn umgeben von Polizisten in voller Montur, und sie schlugen ihm mit etwas auf den Kopf, das ihn umbrachte.
    Wo? Wann? Was bringt das, wenn ich nicht sehen kann, wo und wann?
    Sie erhielt augenblicklich ihre Antwort. Chicago, August. Die Nationalversammlung der Demokraten. Lieber Gott, was sollte sie denn damit anfangen?
    Das Richtige.
    Sein Kraftfeld wandelte sich jetzt von Lila in Dunkelrot, in Dunkelblau und schließlich in ein sanftes Selleriegrün. »Fahr im August nicht nach Chicago. Und wer ist Carla? Hör nicht auf sie. Sie wird dich drängen, nach Chicago zu kommen. Fahr nicht. Wenn du das schaffst, dann werden die Menschen deine Gedichte noch im 21. Jahrhundert lesen.«
    Und plötzlich waren da keine Informationen mehr, die Farben verschwanden, und Diego stand entsetzt da, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht blass. »Niemand … niemand weiß von meiner Schwester«, sagte er schließlich.
    »Hör mal, was mit ihr geschehen ist, ist nicht deine Schuld. Du hast deine Entscheidungen getroffen, sie ihre. Du musst dich auf die Gegenwart konzentrieren – und darauf, im August nicht nach Chicago zu fahren.«
    Bevor er sie noch etwas fragen konnte, sagte Mira, sie müsste los, und eilte zur Tür. Sie war dankbar, dass das weiße Rauschen nicht zurückgekehrt war, kein Summen, keine Stufen drei und vier. Obwohl sie schon früher Kraftfelder gesehen hatte, war ihr noch nie eines so lebendig erschienen, mit so

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