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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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war, dann war hier auch das Dreckschwein, das sie geschnappt hatte. Mira hatte bereits entschieden, dass sie nicht zur Polizei gehen konnte, was bedeutete, dass sie, sobald sie gesund war, ganz allein die Suche aufnehmen musste. Um Annie zu finden, würde sie alle ihre intuitiven Fähigkeiten benötigen, und ehrlich gesagt, zweifelte sie daran, ob ihre Fähigkeiten, selbst so verfeinert wie im Augenblick, ausreichten, um ihre Tochter aufzuspüren. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte, sie wusste nicht, wer der Mann war oder was ihn trieb, und je länger sie hier lag und versuchte, wieder zu Kräften zu kommen, desto wahrscheinlicher wurde es, dass der Mann Annie woandershin schaffte. Oder ihr wehtat. Oder Schlimmeres.
    In ihren dunkelsten Augenblicken, und davon gab es viele, sorgte sie sich, was mit Annie werden würde, wenn sie selbst starb. Niemand wusste, dass Annie hier war. Und selbst wenn Sheppard es herausbekam, bedeutete das nicht, dass er etwas unternehmen konnte. Allerdings waren mindestens drei Menschen durch die Zeit gereist. Hieß das nicht, dass Sheppard es vielleicht auch konnte?
    Als sie aufwachte, vermutlich am vierten Tag, wurde ihr klar, dass sie einen entscheidenden Abschnitt hinter sich hatte – ihr Fieber war gesunken, sie war hungrig, das weiße Rauschen war verschwunden. Sie lag einige Minuten da, wackelte mit den Zehen, den Fingern, testete ihre Glieder, ihren Körper. Sie wusste, dass sie Gewicht verloren hatte, vielleicht drei oder vier Kilo. Ihre Hüftknochen stachen hervor wie Klingen. Der Gewichtsverlust sorgte sie jedoch weit weniger als die Frage, ob es sich nur um einen kurzen lichten Moment handelte, oder ob sie wirklich geheilt wäre.
    Wie auch immer, sie wollte das Beste daraus machen. Sie konnte es sich nicht leisten, Zeit zu verschwenden.
    Vierzig Minuten später ging sie ins Büro hinein, ihren Rucksack auf der Schulter. Im Büro spielte Musik aus einem Kassettenrekorder, Musik, die sie aus ihrer Kindheit kannte, Musik, die ihre Mutter und Nadine immer gehört hatten: Sergio Mendez und Brazil 66. Tom, dachte sie, hatte erzählt, dass seine kubanischen Eltern auch oft Sergio Mendez gehört hatten. Tom lebte jetzt, ein dreizehnjähriger Junge, der seine Teenagerjahre auf Marathon verbrachte. In diesem Sommer würde er anfangen, sich für Mädchen zu interessieren, er würde seine erste Freundin in der Geisterbahn auf dem Rummelplatz küssen. Sie kannte den Verlauf seiner Kindheit. Sie hatten sich alles erzählt, und sie hatte kein Wort davon vergessen.
    »Du vergleichst mich mit deinem toten Mann, Mira«, hatte Sheppard oft zu ihr gesagt.
    Und es stimmte. Es stimmte und war unfair, aber so war es nun einmal. So kitschig das klingen mochte, Tom war das Lied ihrer Seele gewesen, ihre fehlende Hälfte. Sie vermutete, dass man eine solche Beziehung nur einmal im Leben einging.
    Und hier war sie nun, fünfunddreißig Jahre in der Vergangenheit, an einem Ort in der Zeit, an dem sie nicht nur in ihre eigene Geschichte eingreifen konnte, sondern in die Geschichte des Landes, die Geschichte der Welt. Aber selbst wenn sie die Menschen dazu bewegen könnte, ihr zuzuhören, würde das etwas ändern? Wenn John Lennon gewarnt wäre, würde er im Dezember 1980 aus dem Dakota ausziehen? Würden Janis Joplin oder Jimi Hendrix von den schweren Drogen lassen? Würde Nelson Mandelas langer Aufenthalt im Gefängnis einfacher sein, wenn er wüsste, dass er eines Tages Präsident Südafrikas würde? Würde ein dreizehnjähriger Bill Clinton sich erinnern, später eine Frau namens Monica zu ignorieren?
    Würde Tom Morales daran denken, am Abend des dritten Geburtstages seiner Tochter im Jahr 1992 nicht in einen Supermarkt zu gehen?
    Vergiss es. In ihrem Geist schlug eine Tür zu.
    Sie blieb vor dem Schreibtisch stehen. Ein junger Mann mit langem schwarzen Haar tänzelte auf die andere Seite zu, er schnipste im Takt der Musik mit den Fingern. »Hey, Hütte elf«, sagte er. »Ich bin Diego. Was kann ich für Sie tun, Miss Morales?«
    »Lydia hat gesagt, dass man die Elektrowagen mieten kann.«
    »Einen Dollar am Tag, der beste Deal auf der Insel. Wir bitten nur darum, dass sie jeden Abend wieder eingestöpselt werden. Vor jeder Hütte gibt es eine Außensteckdose.«
    Er sprach sehr schnell, fiel ihr auf, als hätte er nur wenig Zeit und müsste alles sagen, bevor er weitermachte, mit was auch immer. »Soll ich jetzt zahlen?«
    »Am Ende der Woche. Ich gehe mal davon aus, dass Sie einen Führerschein

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