Die Spur der verlorenen Kinder
weg.
»Na ja, jetzt ist der Boden erst recht rutschig«, bemerkte der Manager. »Die Konservengläser sind kaputt.«
Er marschierte ohne ein weiteres Wort an ihnen vorbei. Offenbar hatte er noch nie etwas von Kundenservice gehört, dachte Mira und wollte den Gang entlanggehen, um ihren Wagen zu holen, doch der Bulle – Fontaine – übernahm das für sie. »Kümmern Sie sich nicht um Henry«, erklärte er ihr. »Er hasst seinen Job. Kommen Sie, ich helfe Ihnen, Ihre Einkäufe zum Wagen zu bringen.«
Als er ihren Ellenbogen berührte, entstand ein Bild hinter ihren Augen: das Gesicht des Mannes, der Annie entführt hatte. Fontaine kannte ihn.
Fontaine bestand darauf, ihre Einkäufe hinaus zum Wagen zu tragen. Sie wusste nicht, ob er sich persönlich für das Verhalten des Managers verantwortlich fühlte oder ob das einfach zu seinen Aufgaben als Polizist gehörte. Wie auch immer, es kam ihr eigenartig vor.
»Ich habe Sie noch nie auf der Insel gesehen«, sagte Fontaine. »Wo kommen Sie her?«
»Lauderdale.«
»Tango ist deutlich anders als Lauderdale.«
»Ganz anders. Hier ist mein Wagen.« Sie deutete auf den Elektrowagen.
Er schaute auf das Nummernschild. »Sie wohnen in der Künstlerkolonie.«
»Nur auf Zeit, während mein Boot repariert wird.«
Er stellte ihre Einkäufe auf den Rücksitz des Wagens. »Wie haben Sie von den Hütten in der Kolonie gehört?«
»Von Jake Romano. Im …«
»Klar, ich kenne Jake. Schon seit Jahren. Er ist wirklich gut mit seiner Kamera. Ein netter junger Mann. Ich habe ihren Namen gar nicht mitbekommen«, setzte er hinzu.
»Mira.«
Er runzelte die Stirn. »Ungewöhnlicher Name. Spanisch, oder?«
»Kann sein, aber ich weiß nicht, ob meine Eltern ihn so gemeint haben.«
»Lustig, erst vor ein paar Tagen hat einer meiner Leute einen panischen Anruf von einer Frau namens Mira Morales entgegengenommen, die sagte, sie sei vermisst und ihre Tochter wäre von Little Horse Key entführt worden.«
Und wissen Sie was? Sie kennen den Mann, der dahintersteckt. »Wie schrecklich«, sagte sie. Ihr Puls schlug hart und schnell in ihrer Schläfe. Sie wandte den Kopf von Fontaine ab, damit er ihr nicht ansehen konnte, dass sie log. »Davon habe ich gar nichts in den Nachrichten gehört.«
»Das ist ja das Eigenartige. Der Lieutenant sagte, die Verbindung wurde getrennt, und sie hat nicht zurückgerufen. Ihr Name ist doch nicht Morales, oder?«
»Nein. Piper. Mira Piper.«
»Schreckliche Sache. Der Entführer will Lösegeld und befiehlt den Eltern, sich nicht an die Polizei zu wenden, und die Eltern bekommen Angst. Das ist verständlich. Aber mein Gott, die Polizei ist zum Helfen da, wissen Sie, was ich meine?«
Sie konnte seine Gedanken nachvollziehen: Wie viele Frauen namens Mira konnte es außerhalb der Touristensaison auf der Insel schon geben? Alles, was er sagte, galt ihr, und sie hätte ihm beinahe alles gestanden, sie hätte es getan, aber als sie seinen Arm berührte …
Sie findet sich in einem kleinen fensterlosen Zimmer, ihre Arme und Beine sind an den Tisch geschnallt, ein Tropf hängt an ihrem Arm. Menschen schießen Fragen auf sie ab – Bullen, Ärzte, FBI-Agenten – und sie kann nicht lügen. Was sie ihr geben, lässt sie nicht lügen. Sie hört sich Sachen sagen – Microsoft, E-Mail, Bill Gates, Bill Clinton, die Georg Bushs, Yahoo, Watergate, Reagan, 9/11, die Dotcom-Revolution, Enron, Worldcom, Pocket-PCs, Mondspaziergang …
In der nächsten Szene befindet sie sich in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt, so wie in Einer flog über das Kuckucksnest, und Big Nurse drückt sie auf einen Tisch und schiebt ihr etwas zwischen die Zähne. Sie sagt, es wird gar nicht wehtun, keine Sorge, die Elektroschocks werden Sie heilen.
Mira riss ihre Hand von Fontaines Arm. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Chief Fontaine.«
»Rufen Sie mich jederzeit an, Mira.« Er reichte ihr einen Zettel, auf den er zwei Telefonnummern geschrieben hatte.
Als sie in ihrem Elektrowagen davonschaukelte, stand er einfach nur auf dem Parkplatz. Er sah ihr nach, und seine wohlgemeinten Intentionen waren für sie potenziell genauso tödlich wie eine .357 Magnum aus nächster Nähe.
Vierzehn
Das Hilltop Inn erinnerte Sheppard an einen Drehort. Es war in tropischen Pastellfarben gestrichen und breitete sich aus wie zwei Arme, die darauf aus waren, den Stausee darunter zu umarmen. Auf dem großzügigen sechs Hektar großen Gelände war das Gras grüner als Smaragde, und alle Leute sahen
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