Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
Vom Netzwerk:
Verzweiflung, dem Versagen und dem überwältigenden Gefühl von Panik nachzugeben, dass ihre Fähigkeiten nicht ausreichten, um Annie zu finden.
    Was für ein Blödsinn. Du hast es gerade mal fünf Minuten versucht.
    Sie ließ den Elektrowagen an und kurvte zurück auf die Straße.
    ***
    Die kleine Einkaufszeile kam ihr bekannt vor, wahrscheinlich weil sie aussah wie hundert andere Einkaufszeilen in ihrer eigenen Zeit. Ein kleiner eigentümergeführter Supermarkt, ein Tierladen, eine Drogerie und – der verlorene Anachronismus der Sechziger – ein Headshop. Aber als sie mit dem Elektrowagen auf den Parkplatz fuhr, fiel ihr ein, dass in ihrer eigenen Zeit hier ein Publix-Supermarkt stand, ein Gebäude, gegen das die Anwohner Sturm gelaufen waren, das dennoch genehmigt worden war, weil es Stellen schaffen und Steuern einbringen würde. Ihr gefiel es so besser, es war einfacher und logischer.
    Sie sah nach, wie viel Geld sie noch hatte. Die Hütte kostete sie 50, sieben brauchte sie für eine Woche Elektrowagen, und sie hatte 16 Dollar und etwas Kleingeld für Lebensmittel ausgegeben, also blieben ihr noch etwa 26 Dollar von den 100, die Jake ihr geliehen hatte. Ihre einzige Hoffnung war, dass Lydia oder Diego sie ihren Freunden in der Kolonie empfehlen würden, sodass sie ein bisschen Geld für Wahrsagungen einnahm.
    Als sie aus dem Wagen stieg und sich wirklich einmal aufmerksam umsah, war es geradezu ein Kulturschock – die Hippie-Bettler vor dem Laden, überall Sixties-Musik, ein ganzer Parkplatz voller VW-Käfer und der Supermarkt selbst. Er war größer als der in der Kolonie, aber es fehlten trotzdem unheimlich viele der Dinge, die sie in ihrer eigenen Zeit als ganz selbstverständlich ansah.
    Wo war der Danone-Kaffeejoghurt, den Annie so liebte? Wo waren die Pfirsiche aus Georgia? Advil? Fuji-Äpfel aus Neuseeland? Die Papayas aus Costa Rica? Das frisch gebackene Roggenbrot? Die vegetarischen Gerichte? Die Sojamilch? Biofrüchte und Biogemüse? Wo zum Teufel war alles, was daheim ihre Nahrung bildete?
    Daheim – ja, genau darum ging es, nicht wahr? Sie war wahrhaftig in einem fremden Land, eine Fremde in einem fremden Land, geboren in den Sechzigern, aber nie Teil der ganzen Bewegung, weil sie zu jung gewesen war. Vielleicht hatte genau deswegen diese Dekade eine eigenartige Faszination auf sie ausgeübt, die auch auf Annie ausgestrahlt hatte. Annie kannte sich mit den Sechzigern aus wie Kinder in ihrer eigenen Zeit mit McDonald’s. Sie kannte sie, als hätte sie in den Sechzigern gelebt.
    Und das tut sie. Sie ist hier und lebt. Aber unter welchen Umständen?
    Das Summen überkam sie plötzlich, unerwartet, und es war nicht das sanfte, melodische Summen. Es war eine Stufe drei, ein kreischender Wahnsinn, der sie aus dem Nichts überfiel und in die Knie zwang, während ihre Hände noch den Griff des Einkaufswagens packten. Der Wagen begann zu rollen, ihre Hände weigerten sich loszulassen, und so wurde sie mitgeschleppt durch den Gang. Ihre Knie ruckten im Stakkato, um mit dem Wagen Schritt zu halten. Ihr Rucksack glitt von ihrer Schulter und schlug gegen ihre Hüfte, fiel dann auf den Boden.
    Miras Finger glitten vom Griff des Einkaufswagens, und sie fiel ungeschickt hin, der Wagen rollte weiter, bis er in ein Regal knallte. Dosen und Kekse und Schachteln fielen zu Boden. Jemand half Mira auf, sie zuckte zurück und schaute hoch zu dem Mann. Das Kreischen in ihrem Kopf stoppte. Der Übergang von dem allumfassenden, schmerzhaften Lärm zu vollkommener Stille war so abrupt, dass ihr Hirn einen Augenblick brauchte, um damit klarzukommen und es zu verdauen. Sie zwinkerte, rieb sich die Hände an den Beinen, erhob sich, stammelte ihren Dank.
    Sie wusste, dass der plötzliche Stopp des Lärms wichtig war, und dass er eindeutig mit dem Mann zu tun hatte, der ihr aufgeholfen hatte.
    »Alles in Ordnung, Ma’am?«, fragte er mit einem rollenden Südstaatenakzent.
    »Ja, danke. Ich bin wohl hingefallen.«
    Ein dünner Kerl, auf dessen Namensschild Manager stand, eilte durch den Gang und betrachtete verärgert den Schaden. »Was ist denn hier los, Sheriff Fontaine?« Die schmalen Lippen des Managers wölbten sich missbilligend.
    Ein Bulle, toll, er ist ein Bulle, und ich bin am Arsch.
    »Der Boden ist glatt, Henry. Die junge Dame ist ausgerutscht, und ein Rad von dem verdammten Einkaufswagen ist abgefallen.« Er deutete auf den Einkaufswagen, der jetzt am Ende des Ganges stand, und eines der Räder war tatsächlich

Weitere Kostenlose Bücher