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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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den CD-Player, drehte die Lautstärke hoch und hörte zu, wie Hendrix »Purple Haze« rausschrie.
    ’Scuse me while I kiss the sky …
    Dann sah sie, dass der Videorekorder bereits eingeschaltet war, und als sie den Fernseher ebenfalls einschaltete, begann das Band zu laufen. Sie stoppte den CD-Player und betrachtete die erste Szene der Videoaufnahmen: das Straßenschild für Mango Drive, wo sich der Buchladen ihrer Mutter befand. »Wie fahren jetzt den Mango Drive nach Osten.« Peters Stimme. Er saß in einem Wagen. Sie konnte den Motor hören, die Reifen auf der Straße, sogar das leise Dröhnen des Autoradios im Hintergrund.
    Annie trat einen Schritt vom Bildschirm zurück und legte die Arme über Kreuz, als wollte sie sich vor seiner Stimme schützen. »Manche Dinge sind so, wie du sie kennst, zum Beispiel dieser Coffeeshop hier links, wo du und deine Mutter ein paarmal zu Mittag gegessen habt. Er ist hier anders gestrichen, aber ich glaube, du erkennst ihn.«
    Antonio, klar, sie erkannte das Geschäft. Das Neonschild war da, eine Erinnerung an die Fifties, aber das Gebäude war meergrün statt gelb. Und die Grünanlage wirkte neu, mit kleinen Büschen, winzigen Bäumchen, ganz ohne die leuchtenden Bougainvilleen.
    »Jetzt kommen wir an die Ecke, wo der Buchladen deiner Mutter sein sollte.« Der Wagen hielt auf dem Bürgersteig, die Kamera zeigte ein leeres Grundstück. »Aber, äh, kein Buchladen. Wie kann das sein? Na ja, ich erwarte nicht, dass du mein Wort akzeptierst. Wir fahren jetzt weiter nach Osten, in Richtung der Tango Bridge. Alles sieht ähnlich aus, aber doch anders.«
    Annie trat noch einen Schritt zurück, sie presste ihre Knöchel vor den Mund, während sie zusah, die Landschaft war bekannt und doch verändert. Ein Eiscreme-Laden, wo Kinderklamotten verkauft werden sollten. Ein Restaurant, wo sich ein Smoothie-Shop befand. »Was zum Teufel?«, murmelte sie, griff nach der Fernbedienung und schaltete auf Pause.
    Unten auf dem Bildschirm erschien ein Datum: 18.06.1968. Peter hatte offensichtlich keine Ahnung, wie er seine Videokamera programmieren musste, dachte sie und beugte sich näher an den Schirm, sie starrte den Namen eines Restaurants an. Ginny’s Seafood. Es kam ihr bekannt vor, aber sie war sicher, dass sie es nie gesehen hatte. Und dann erinnerte sie sich an eine von Nadines Geschichten von früher, und dass sie und ihr zweiter Mann, David Cantrell, jedes Wochenende bei Ginny’s Seafood gegessen hatten. Nadine hatte ihr erzählt, dass Ginny Anfang der Siebziger an einem Herzinfarkt gestorben war. Das Restaurant wurde verkauft.
    Aber was glaubte Peter eigentlich, wie blöd sie war? Das war bloß irgendein altes Band, und er hatte darüber gesprochen. Selbst alte Privataufnahmen konnte man heutzutage auf Videokassette überspielen. Was sollte das alles? Was für einen Streich will er mir jetzt spielen? Er versuchte, sie durcheinanderzubringen. Sie hatte von solchen Sachen gelesen, Gehirnwäsche-Tricks, die man bei Kriegsgefangenen zum Einsatz brachte. Aber wenn sie eine Kriegsgefangene war, was war es für ein Krieg?
    Peters eigener Krieg.
    »Jetzt kommen wir um die Kurve, du kannst gleich die Florida Bay und in der Ferne Key West sehen«, sagte Peters Stimme.
    Als der Wagen um die Kurve bog, sah Annie die Florida Bay in ihrer atemberaubenden Schönheit, Key West war ein dunkler Fleck in der Ferne, aber es gab keine Brücke, die sie verband. Sie pausierte wieder das Bild, schaute genauer hin und begann zu lachen. »Ach was, das kriegt doch jedes Schulkind mit der richtigen Software hin, du Arschloch.«
    Die Stimme sagte: »Die Brücke wurde noch nicht gebaut, Annie. Sie wird erst in siebzehn Jahren gebaut werden.«
    »Ja, klar.«
    Sie hörte Schlüssel an der Tür klimpern, Sunnys Bellen, dann wurden die Schlösser geöffnet. Rusty kam mit einem Tablett mit Essen herein, der Hund eilte neben ihm her, Peter kam direkt hinter ihm.
    »Du hast dir das Band angeschaut?«, fragte Peter und schloss die Tür.
    »Einen Teil.« Sie weigerte sich, ihn oder Rusty anzusehen. Sie stand immer noch vor dem Fernseher und drückte auf den Knopf, um den Kanal zu wählen. Aber nichts geschah. »Die Fernbedienung funktioniert nicht für die Fernsehsender«, sagte Peter. »Zappen ist noch nicht erfunden worden.«
    »Genau wie die Brücke noch nicht gebaut wurde?« Sie warf ihm einen Blick zu und sah, wie Rusty und er einander ansahen.
    »Ich habe dir gesagt, das Band wird sie nicht überzeugen«, sagte Rusty

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