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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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einen Arm um Miras Schulter, als sie zu den Eingangsstufen gehen. »Ich lese es dir vor, und du hörst mit deinen inneren Sinnen zu, mí amor.«
    »Es ist bloß ein Brief.«
    »Ich glaube, es ist viel mehr als das, aber mal sehen, was du sagst.« Sie setzen sich auf die schattigen Stufen, und Nadine beginnt zu lesen. Mira schließt die Augen und versucht, so zuzuhören, wie Nadine es ihr beigebracht hat.
    Mira wartet einen Augenblick, die Augen geschlossen, dann schüttelt sie den Kopf und schaut Nadine an. »Das verstehe ich nicht. Was sind Koordinaten? Wer ist Sheppard?«
    »Ich weiß nicht. Was hast du gefühlt, als du mich hast vorlesen hören?«
    »Dass ich wissen müsste, worum es geht.«
    Nadine reicht ihr den Zettel. »Halt ihn fest zwischen deinen Händen. Schließ die Augen. Atme so, wie ich es dir beigebracht habe.«
    Mira sitzt still, die Hitze im Gesicht, den Zettel zwischen den Händen, und vor ihren Augen erscheinen urplötzlich Bilder auf und brennen wie Fackeln. Ein Kind, eine Frau, zwei Männer, Bücher, und dann eine Dunkelheit, die so dicht und undurchdringlich ist, so entsetzlich grauenvoll, dass sie den Zettel loslässt, aufspringt und ins Haus läuft.
    ***
    Mira spürte, wie sich eine weitere neue Erinnerung hinter dieser formte, konnte sie aber nicht fassen, konnte sie nicht in ihr Bewusstsein locken, um sie zu betrachten. Panisch, dass sie diese Erfahrung vergessen würde, oder dass sie eine weitere Erinnerung ersetzen würde, zog sie ihren Pocket-PC und die tragbare Tastatur aus dem Rucksack. Sie klappte die Tastatur auf ihrem Schoß aus, schloss sie an den Pocket-PC an und tippte schnell alles, was geschehen war.
    Lange Augenblicke hatte sie das Gefühl, als lebte sie in zwei Welten, als gäbe es doppelte Wirklichkeiten, die gleichermaßen gültig waren, gleichermaßen echt. Sie hoffte, dasselbe würde Nadine 2003 widerfahren, dass sie die Notiz der Fremden aus dem Jahr 1968 aufgehoben hatte, dass sie sie Sheppard geben oder ihm davon erzählen würde, und dass er alles begreifen und seinen Weg durch die Dunkelheit und fünfunddreißig Jahre zurück finden würde. Augenblicklich erkannte sie diesen Wunsch als so absurd, wie er war.
    Die Hilfe würde nicht aus ihrer eigenen Zeit kommen, und sie konnte sich in dieser Zeit nicht auf Nadine verlassen, um sie rauszuhauen. Sie konnte ihr Bestes geben, aber am Ende war es ganz einfach: Sie war auf sich allein gestellt.
    Wie um diese Tatsache zu unterstreichen, rieb der Vogel seinen Schnabel an Miras Wange. Dann flog er davon, um sich einem Schwarm wilder Papageien und Sittiche anzuschließen, der über sie hinwegzog. Ihre Schreie hallten durch das abnehmende Licht.

2
    Als Annie zu sich kam, hatte sie keine Ahnung, wie lange sie bewusstlos gewesen war oder welcher Tag es war. Es war dunkel, aber soweit sie wusste, konnte es auch schon die Dunkelheit des nächsten Tages sein.
    Und dieser Tag ist …?
    Sie wusste es nicht. Sie hatte kein Gefühl mehr für die Zeit. Sie hatte keinen Bezugspunkt. Aber all das war Teil dessen, was er mit ihr vorgehabt hatte. Es war Teil seiner Gehirnwäsche.
    Sie setzte sich auf, schwang ihre Beine über den Rand des Sofas, rieb sich mit den Händen über das Gesicht. Gräber, da sind Gräber draußen im Wald, dachte sie und sprang vom Sofa. Sie eilte ins Bad und riss den Wäscheschrank auf. Sie hatten den Spachtel hinter dem Fliesenstapel nicht gefunden. Annie nahm den Spachtel und stieg in die Wanne, lockerte die Fliesen, hinter denen sich ihre Botschaft verbarg, und setzte hinzu: Gräber im Wald.
    Sie war immer noch derart orientierungslos vom Chloroform, dass es ewig zu dauern schien, diese drei Worte zu ritzen. Aber sie wusste, wenn Shep und ihre Mutter diesen Ort fanden, würden die drei Worte sie zu den Gräbern führen, und diese würden vielleicht Antworten beherbergen.
    Annie brachte die Fliesen wieder an, versteckte das Spachtelmesser hinter dem Stapel und kehrte in den Wohnraum zurück. Jetzt fiel ihr auf, dass Peter oder Rusty einen Fernseher hergebracht hatten, einen Videorekorder, Videobänder, einen CD-Player und Stapel von CDs und Zeitschriften. Mit gerunzelter Stirn fragte sie sich, was das alles sollte, und sah die Magazine durch. Look, Life, TV Guide, Time, Newsweek, aber alle zurückdatiert auf 1968. Nadine hatte solche Sachen auf dem Dachboden, aber ihre Zeitschriften waren vergilbt. Die hier sahen neu aus.
    Sie sah die CDs durch und fand eine mit Jimi Hendrix’ größten Hits. Sie schob sie in

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