Die Spur der Woelfin
auch an Vince war die Szene nicht ganz spurlos vorübergegangen. Auch
bei ihm waren die Striemen, die ihre Finger auf seiner Wange hinterlassen
hatten, noch deutlich sichtbar, und so gingen während der gesamten Mahlzeit,
die mal in drückender Stille anstelle des üblichen ausgelassenen Lärmpegels
hinter sich gebracht wurde, die Blicke der Übrigen hin und her. Einzig Patrick
schien ganz auf das Essen konzentriert, stellte hin und wieder ein paar Fragen,
offensichtlich in dem Bemühen, ein Gespräch in Gang zu bringen. Gab aber auf,
als alle seine Versuche scheiterten.
Schließlich war es Laura, welche die geladene Stimmung am Tisch
endgültig zum Kippen brachte. Vince schien sich von ihren verbalen Schlägen
mehr als nur gut erholt zu haben, und sein spöttischer Blick, der immer auf ihr
ruhte, wenn sie zu ihm herübersah, reizte sie. Und mit einem boshaften Grinsen
wandte sie sich an Malcolm.
Eine ihrer ersten Taten, als sie den Haushalt übernommen hatte, war es
gewesen, alle Anwesenden in geregelten Abständen zum Einkaufen zu schicken, nachdem
sie hatte feststellen dürfen, dass diese Aufgabe mehr sporadisch erledigt
wurde, und sie mehr als einmal vor einem leeren Kühlschrank gestanden hatte.
Sie hatte dafür sogar eine Liste in der Küche aufgehängt, in der sie alle Namen
eingetragen hatte, und einen Zettel am Kühlschrank angebracht, auf dem die
ausgegangenen Lebensmittel notiert werden sollten. Das funktionierte zwar nicht
so gut wie erhofft, aber zumindest wurde es langsam besser.
»Sag mal, du bist doch morgen dran mit einkaufen, oder?«
Malcolm nickte kauend, während sein Blick von ihr zu Patrick ging und
schließlich auf Vince, der wie üblich an dessen Seite saß, hängen blieb. Doch
dieser starrte stumm auf seinen Teller, einzig die gespannten Muskeln seiner
Schultern zeigten, dass er sich für Lauras nächsten Schlag wappnete.
»Ich habe das Gefühl, dass es in diesem Haus eine Ratte gibt. Und ich
wäre dir sehr verbunden, wenn du Rattengift besorgen könntest. Arsen- oder
strychninhaltige Mittel aus der Apotheke sollen da wahre Wunder bewirken.«
Malcolm verschluckte sich, als er derart von ihr zum Kriegsschauplatz
erklärt wurde. Und hustend sah er auf Patrick, der inzwischen sein Besteck
weggelegt hatte und wie auch Laura auf Vince sah.
»Ich habe mir sagen lassen, dass es bei Ratten dieser Größe ratsamer
ist, sie einzusperren, damit sie im Haus keinen Schaden mehr anrichten können.«
Innerlich jubelte Laura, als Patrick derart für sie Partei ergriff, aber
sie hütete sich, dies vor den anderen zu zeigen. Und sie behielt ihre
entspannte Miene selbst dann noch bei, als Vince mit einem letzten kalten Blick
in ihre Richtung sein Besteck auf den Teller vor sich warf und kommentarlos die
Küche verließ.
»Er hat dich geschlagen.« Patricks ruhige Feststellung ließ sie den
Blick in seine Richtung lenken.
Etwas verlegen strich sie sich über die geschundene Wange, entrang sich
dann aber ein Lächeln. »Ich ihn zuerst.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist mir egal. Er hätte es
nicht tun dürfen.«
Sie hob gelassen die Schultern. »Ich habe ihn gereizt, und er hat
schließlich reagiert. Ich würde sagen, das war eine durchaus männliche
Reaktion.«
Er runzelte die Stirn bei ihrer Formulierung, doch sie wollte ihm keine
Erklärung bieten. Und noch bevor er nachhaken konnte, fuhr sie fort: »Und um
ehrlich zu sein: Ich habe nichts anderes getan. Wir haben uns schlicht in die
Haare bekommen, und schließlich ist das Ganze eskaliert. Ihn trifft dabei nicht
mehr Schuld als mich.«
Seit wann nahm sie diesen arroganten Mistkerl eigentlich in Schutz?
Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, sich vor ihn zu stellen, aber Patricks
kühle Haltung hatte sie vorsichtig werden lassen. Wenn es ihm einfallen könnte,
Vince deswegen zur Rede zu stellen, vielleicht sogar noch mehr zu tun, würde
dies Auswirkung auf die ohnehin schon gereizte Stimmung haben. Und darauf
konnte sie getrost verzichten. Schon jetzt zerrte Vinces Verhalten ihr
gegenüber an ihren Nerven. Außerdem wollte sie nicht der Grund sein, wenn
Patrick und Vince sich stritten. Wenn alles gut ging, wäre sie spätestens in
ein paar Wochen wieder von diesem Ort verschwunden. Was nützte es also, wenn
sie einen Keil zwischen diese beiden Männer trieb?
»Laura, glaubst du wirklich, dass es mir nicht auffällt, wie er sich dir
gegenüber benimmt?«
Laura schluckte. Diesen Ton hatte sie seit ihrem ersten Tag hier
Weitere Kostenlose Bücher