Die Spur der Woelfin
war offensichtlich Auslöser
genug gewesen.
So leise wie möglich zog sie sich etwas an, schnappte sich ihr Notebook
und holte schließlich auch noch die Schachtel Zigaretten aus ihrer Reisetasche,
ehe sie auf Zehenspitzen hinunter ins Foyer des Hauses schlich. Sie brauchte
ein wenig frische Luft und eine Menge Zeit, um ihren Kopf wieder klar zu
bekommen. Zumindest aber, um die Bilder wieder loszuwerden. Ein paar Stunden
auf der Terrasse bei der Bibliothek, allein. Dort würde sie niemanden stören,
wenn sie Musik hörte und sich in ihrem Selbstmitleid ertränkte. Das komplette
Erdgeschoss war, mit Ausnahme der Stelle, an der man den Wintergarten zur Küche
gebaut hatte, von einer Terrasse umgeben. Dort, wo sie sich jetzt befand, war
die Giebelseite des Hauses. Und das einzige Schlafzimmer, das zurzeit auf die-
ser Seite im ersten Stock belegt war, war ihr eigenes. Also würde sie
wenigstens niemanden wecken.
Nach einigem Suchen fand sie in der Bibliothek eine Steckdose, an die
sie ihr Notebook würde anschließen können und für die sie nur unwesentlich
Tisch und Stühle würde verrücken müssen. Nachdem sie das blinkende Lämpchen an
dem Computer gesehen hatte, drehte sie sich in der Tür um und ließ ihren Blick
durch den Raum schweifen. Links neben der Tür zur Eingangshalle stand eine
gemütliche Sitzecke ganz im Stil vergangener, kolonialherrlicher Tage. Dunkles,
rotbraunes Leder und handgeschnitzte Armlehnen und Füße, ein Traum für jeden
Antiquitätenliebhaber und der Quell der Inspiration ihrer eigenen
Innenarchitektenkreativität. Es wirkte vollkommen stilecht, selbst der
sündhafte Kamin mit den Holzintarsien fehlte dabei nicht, doch gerade im Moment
hatte Laura dafür wenig Sinn. Diese Ecke wirkte wie die einstigen Herrenzimmer,
wenn man von den schneeweißen Wänden absah, und sie wusste, dass sie dort auch
einen Barschrank finden würde.
Ihre Aufräumwut hatte auch vor diesem Zimmer nicht Halt gemacht. Und als
sie die Bücher sortiert und den Raum von den vielen Spinnenweben unter der
Decke befreit hatte, hatte sie auch die kleine Bar erwischt. Mit ungefähr einem
Meter fünfzig war sie ja auch nicht zu übersehen gewesen. Sie war
außerordentlich gut bestückt. Whiskey, Cognac, Brandy, Wodka ... Als sie alles
sauber gemacht hatte, hatte sie Muße genug gehabt, sich die teuren Flaschen
anzusehen. Und gerade jetzt sehnte sie sich nach dem Wodka, von dem sie wusste,
dass er dort stand.
Die Tür quietschte ein wenig, und in Gedanken machte sie sich eine
Notiz, dass sie sie würde ölen müssen, während sie im einfallenden Licht der
Terrasse zögernd mit den Fingern über die Flaschen strich, bis sie die hohe,
schlanke Flasche erwischte, nach der sie gesucht hatte. Es klirrte leise, als
sie sie unter den vielen anderen hervorzog, und sie zuckte selbst kurz zusammen
bei diesem Geräusch, aber dann hatte sie sie sicher in den Händen. Sehr gut.
Schnell nahm sie eines der Gläser und kehrte zurück auf die Terrasse.
Wie lange sie schließlich dort saß, blieb ihr ein Rätsel. Zwar zeigte
ihr Betriebssystem munter fröhlich die Uhrzeit an, doch war sie schon binnen
kürzester Zeit nicht mehr in der Lage, die kleine Anzeige in der Startleiste zu
erkennen. Doch sie schätzte, dass ungefähr zwei Stunden vergangen sein mussten,
denn das zweite Album in ihrer Liste näherte sich dem Ende.
Ich denke nicht, ich trinke, hatte einer der
Mariachi in Quentin Tarantinos >Irgendwo in Mexiko< gesagt, und Laura
wollte ihm darin nur allzu gerne beipflichten. Wer trank, musste nicht denken.
Und im Moment war es genau jenes Denken, was sie um jeden Preis verhindern
wollte. Der Wodka half ihr dabei außerordentlich. Wie Wasser rann er ihre Kehle
hinab, hinterließ jenen feinen aromatischen Nachgeschmack, der fernab jeglichen
Brennens seiner billigeren Kollegen war, und hüllte sie schließlich, mit der
typischen zeitversetzten Wirkung, in den feinen Nebel des Vergessens.
Vergessen, ja, genau das war es, was sie
wollte. Der Albtraum, der sie dreimal hatte hochfahren lassen, war kein
Hirngespinst ihrer Phantasie, entstanden aus einer Reizüberflutung ihres
Gehirns. Er zeigte ihr die eigene Vergangenheit. Er kam selten, doch wenn er
kam, versetzte er sie immer wieder zurück an einen Tag in ihrem Leben, den sie
lieber vergessen hätte. Dann konnte sie selbst im wachen Zustand die große,
stinkende Hand auf ihrem Mund spüren, konnte den säuerlichen Geruch nach Mist
riechen, der von ihr ausging ...
Laura würgte, als
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