Die Spur der Woelfin
nicht
mehr an ihm gehört, und im ersten Moment wusste sie nicht, wie sie damit
umgehen sollte. Er wollte, dass sie zugab, dass Vince sich falsch verhielt.
Aber dazu war sie nicht bereit. »Was dir auffällt und was nicht, interessiert
mich herzlich wenig«, entgegnete sie und ahmte dabei unbewusst seinen kühlen
Tonfall nach.
Alle anderen im Raum hatten unterdessen das Interesse am Essen verloren
und verfolgten nun wie beim Tennis den Schlagabtausch. Zurzeit ruhte jede
Aufmerksamkeit auf Patrick.
»Laura!«
Mit einem Satz kam sie auf die Beine. »Nein! Vince hat Probleme damit,
dass ich hier bin. Gut, damit muss ich leben. Und du wirst es auch, denn ich
will nicht, dass alles noch schlimmer wird, weil du für eine Seite Partei
ergreifst.« Und mit einem lauten Zuschlagen der Tür trat sie nun den gleichen
Rückzug ein, den zuvor auch Vince angetreten hatte. Keiner versuchte, sie davon
abzuhalten, aber das Kribbeln in ihrem Rücken sagte ihr deutlich, dass alle
Blicke auf ihr ruhten.
Zwei Tage! Zwei gottverdammte Tage, in denen die Luft im Haus zum
Schneiden dick geworden war. Patrick hatte keine Rücksicht auf sie genommen.
Selbst ihr war nicht entgangen, dass er sich noch am selben Abend, an dem er
sie danach gefragt hatte, mit Vince gestritten hatte.
Nie war er in ihrer Gegenwart laut geworden. Nur selten hatte sie etwas
anderes an ihm bemerkt als diese ruhige Gelassenheit. Aber an diesem Abend war
seine Stimme selbst für sie klar und deutlich durch zwei Türen von der
Bibliothek hinauf in ihr Zimmer gedrungen. Und Vince hatte ihm in nichts
nachgestanden. Gott, sie hatten sich angeschrien, und sie hatte befürchtet,
dass sie sich noch gegenseitig an die Gurgel gehen würden. Man stritt sich
wegen ihr, und dieses Wissen lastete schwer auf ihr.
Wie sie solche Momente hasste. Ruhelos hatte sie sich in ihrem Bett von
einer Seite auf die andere gedreht und schließlich, als der Geräuschpegel immer
weiter angeschwollen war, sogar das Kissen über den Kopf gezogen, damit sie es
nicht mehr hören musste. Aber das hatte nicht geholfen. In aller Deutlichkeit
hatte sie mit anhören müssen, wie Vince sie als kleines Flittchen bezeichnet
hatte, ehe er Patrick vorgeworfen hatte, dass dieser mit dem Schwanz dachte.
Und Laura hatte sich auf die Lippen beißen müssen, um ruhig zu bleiben.
Vince hatte Patrick vorgehalten, dass er sich nicht an die Regeln halte,
die er einst selbst aufgestellt hatte. Laura war stocksteif geworden, als er
noch ein >keine Zeugen<
hinzugefügt hatte. In diesem Moment schienen sich ihre Gedanken zu verselbstständigen.
Urplötzlich war daraufhin die Szene in ihrem Kopf aufgetaucht, als Vince im
Haus der D'Abots sie hatte anfallen wollen, bis Patrick eingeschritten war. Bis
zu diesem Zeitpunkt hatte sie daran gar nicht mehr gedacht gehabt, hatte es als
Nebensache abgetan. Doch jetzt begriff sie die Zusammenhänge.
Vince hatte Recht. Alles, was sie an diesem Abend davor bewahrt hatte,
den gleichen Weg zu nehmen, den vermutlich schon so mancher in einer ähnlichen
Situation beschritten hatte, waren Patricks Gefühle ihr gegenüber. Sie konnte
nicht sagen, ob es bloße Leidenschaft oder, wie er stets behauptete, Liebe war.
Aber das machte keinen Unterschied. Das Ergebnis war das Gleiche. Sie hatte
jenen Abend überlebt, weil Patrick es so gewollt hatte, weil er seine eigenen
Regeln ignoriert hatte.
Nach diesem Abend hatte sich die Stimmung im Haus drastisch verändert.
Sie ging den Hausbewohnern aus dem Weg, und auch diese taten ein Übriges, damit
man sich nicht oder nur selten über den Weg lief. Anscheinend war niemandem der
Streit entgangen, und sie interpretierten Lauras veränderte Haltung ihnen
gegenüber richtig. Hätte man vorher noch glauben können, dass Vinces Verhalten
im Haus der D'Abots eine Ausnahme war, war ihr nun klar, dass sich auch alle
anderen genau so verhalten hätten. Und wenn nicht ausgerechnet sie an diesem
Abend dort gewesen wäre, hätte es vermutlich tatsächlich keine Zeugen gegeben.
Zumindest keine, die noch darüber würden sprechen können.
Selbst Daniel zog es neuerdings vor, ihr aus dem Weg zu gehen. Und auch
Vince. Das war vermutlich der einzige Vorteil, den diese Auseinandersetzung
gehabt hatte. Vince zog sich vollkommen von ihr zurück, kam ihr nicht mal mehr
in die Nähe und ignorierte sie, wenn eine Begegnung sich nicht vermeiden ließ.
Patrick hatte versucht, mit ihr zu reden. Und sie war ihm aus dem Weg
gegangen, da ihr nicht der Sinn nach einer
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