Die Spur der Woelfin
Frau die Ferien verbrachte, hatte sie
feststellen dürfen, dass sie solche Dinge mehr interessierten. Es hatte ihr
Spaß gemacht, mit Materialien zu arbeiten und dabei auch
kreativ zu werden — eigene Dinge zu entwerfen. Und ihr Onkel hatte sie
schließlich in ihrem Entschluss bestärkt, Innenarchitektur zu studieren. Er
hatte sich sogar mit seinem Schwager zerstritten, als dieser es seiner einzigen
Tochter hatte verbieten wollen, das Gymnasium zu besuchen.
Als wäre es gestern gewesen, konnte Laura sich noch an diese Wochen
erinnern. Vielleicht war das der Grund, wa rum sie es nicht mochte, wenn man
sich stritt. In dieser Zeit schien plötzlich der gesamte Haushalt Kopf zu
stehen. Sie stritt sich mit ihrem Vater und dieser wiederum mit ihrem Onkel,
selbst ihre Mutter, die sie um des lieben Frieden willen davon zu überzeugen
versucht hatte, doch ihrem Vater nachzugeben, bekam ihren Teil davon ab. Aber
nichts hatte sie von ihrer Entscheidung abbringen können. Mit einer vom
Jugendamt erteilten Genehmigung meldete sie sich am Gymnasium an und nahm auch
die von ihrem Vater verhängten Sanktionen in Kauf.
Sie war das einzige Kind von Jakob und Dorit Petersen, und als ihr Vater
begriff, dass sein Plan, den Hof eines Tages an sie abzugeben, nicht aufging,
hatte er versucht, ihr Steine in den Weg zu legen, um sie — in seinem Sinne —
zur Vernunft zu bringen. Er hatte ihr das Taschengeld gestrichen und alles,
worauf man im Prinzip als Kind ein Anrecht hatte: Essen, Kleidung, Möbel —
alles hatte er ihr entzogen, da sie sich diese Sachen nach seinem Verständnis
nicht verdient hatte. Sie tanzte nicht nach seiner Pfeife, also sollte sie auch
nichts von ihm bekommen. Doch sie war zu stolz gewesen, um sich ihm einfach zu
fügen. Und so hatte sie die Zähne zusammengebissen, sich Arbeit gesucht und,
als abzusehen war, dass sie es ohne Hilfe nicht würde schaffen können, über das
Jugendamt ihren Vater auf Unterhalt verklagt. Wenn er konnte, hatte ihr Onkel
ihr geholfen, aber er hatte selbst nicht genügend finanzielle Mittel, um auch
noch ein weiteres Kind zu un-terstützen, also war sie größtenteils auf sich
selbst angewiesen gewesen und auf die Geldgeschenke der übrigen unwissenden
Verwandtschaft zu Weihnachten, Ostern und Geburtstag. Manchmal hatte ihre
Mutter ihr was zugesteckt, manchmal in Form von Essen oder Kleidung und
manchmal in Form von Geld, das sie von ihrem Haushaltsgeld heimlich abgezweigt
hatte. Und so hatte Laura es irgendwie geschafft, über die Runden zu kommen und
selbst einen sechsmonatigen Aupairjob zu finanzieren, bis zu jenem Tag, als es
einfach zu viel wurde.
Vielleicht war ihr zerstörtes Verhältnis zu ihrem Vater schuld daran,
dass sie mit Patricks zuweilen patriarchalischer Ader nicht umgehen konnte.
Zumindest bestärkte sie aber die Erinnerung in ihrem Entschluss, sich bei ihm
zu entschuldigen. Patrick war eben nicht ihr Vater, auch wenn er als Alpha
einen für sie seltsamen Führungsstil pflegte. Aber bisher hatte sie nicht
erkennen können, dass er auch nur im Ansatz mit derselben Ausschließlichkeit
agierte, wie ihr Vater es immer getan hatte.
Tanzt du nicht nach meiner Pfeife, hast du kein Recht, hier
zu sein. Das war immer die Kernaussage ihres Vaters gewesen, auch
wenn er sie nie offen ausgesprochen hatte. Immer hatte er sie in seinen Worten
und seinem Handeln durchklingen lassen. Wäre Patrick ihm auch nur im
Entferntesten ähnlich, würde nicht das gesamte Rudel derart hinter ihm stehen.
Er gab keine Befehle, um seine Macht zu demonstrieren, er erteilte Befehle, wenn
es sich nicht vermeiden ließ. Und er ließ auch keinen wie eine heiße Kartoffel
fallen, wenn man seine Entscheidungen und Befehle in Frage stellte. Sie ahnte,
dass Vince dann der Erste gewesen wäre, der vor der Tür gesessen hätte. Doch
dass alle seinen Entscheidungen relativ blind vertrauten, sprach zumindest für
sie eine deutliche Sprache.
Ein leises Räuspern von der Terrassentür her ließ sie erschrocken
zusammenfahren. Sie war dermaßen in Gedanken gewesen, dass sie gar nicht
bemerkt hatte, dass jemand den Raum betreten hatte. Doch als sie nun aufsah,
stand Patrick in der Tür. Ein halbes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, und
verlegen klappte Laura das Buch zu.
»Du hast bestimmt fünf Minuten auf die Seiten gestarrt, ohne
umzublättern«, meinte Patrick nachdenklich. »Entweder ist das Buch ziemlich
schlecht, oder du trägst dich mit Wichtigerem als Huxley.«
Verlegen errötete Laura und legte
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