Die Spur der Woelfin
das Buch weg, als er näher auf sie
zutrat.
»Hat es was mit mir zu tun?« Als er vor ihr stehen blieb und eine Hand
nach ihr ausstreckte, erkannte sie die dunklen Ringe unter seinen Augen und den
schweren Atem. Zum ersten Mal erlebte sie ihn erschöpft, und sie hoffte, dass
nicht sie der Grund dafür war, wenn er sich hatte abreagieren müssen.
»Ja und nein«, erklärte sie ausweichend und ließ sich von ihm aufhelfen.
Und ihre Wangenfarbe vertiefte sich, als er ihre Hand an die Lippen zog und
einen Kuss auf den Handrücken hauchte. Sofort machte sie sich von ihm los.
»Patrick, lass das«, fuhr sie ihn heftig an, schenkte ihm dann aber ein
reuiges Lächeln. »Du machst mir das alles nicht gerade leichter.«
Fragend hob er eine Braue, und sie seufzte schwer. »Ich kann mich nicht
bei jemandem entschuldigen, wenn derjenige so tut, als hätten wir uns heute
Nachmittag nicht gestritten«, brachte sie in trotzigem Ton hervor und sah, wie
aus seinem Lächeln ein Grinsen wurde. Stumm sah sie ihm zu, als er sich in den
zweiten Sessel setzte und sie mit vor der Brust verschränkten Armen musterte.
»Also?«
Sie biss sich auf die Lippe. Er wollte es ihr also schwer machen. »Es
tut mir Leid, dass ich dich heute so angefahren habe, und es tut mir Leid, dass
ich mich in deinen Au gen den Polizisten gegenüber falsch
verhalten habe. Aber«, erklärte sie und bedachte ihn mit einem
kleinen, boshaften Lächeln, »es tut mir nicht Leid, dass ich nicht springe, wenn du es
verlangst.« Mit welcher Reaktion sie auch immer gerechnet hatte, es war auf
jeden Fall nicht das leise Lachen, das sie nun von ihm zu hören bekam, während
er sich über die stoppeligen Wangen strich.
»Du schaffst es wirklich, dass einem deine Entschuldigung im Hais
stecken bleibt«, bemerkte er leise, aber un-überhörbar amüsiert. Doch dann
wurde er ernst. »Ich war wütend auf dich, weil du es eher der Polizei zutraust als
mir, Dave ausfindig zu machen. Ich war verletzt und habe dich deswegen so
angefahren.«
Überrascht riss Laura die Augen auf. So hatte er das also gesehen?
Kopfschüttelnd trat sie auf ihn zu und ließ sich in den Sessel an seiner Seite
sinken. »So war das nicht gemeint«, meinte sie schließlich, und er nickte.
»Das ist mir später auch klar geworden.« Sein Lächeln nahm ironische
Züge an, als er leiser weitersprach. »Weißt du«, begann er, und Laura hatte den
Verdacht, dass er verlegen war, »ich bin es gewöhnt, dass man mir vertraut. Ich
trage die Verantwortung für jeden Einzelnen von uns. Ich treffe die
Entscheidungen, und ich trage die Konsequenzen, die damit einhergehen. Das
Einzige, was ich dafür verlange, ist Vertrauen. Nicht immer sind alle mit
meinen Entscheidungen einverstanden, aber dennoch wissen sie, dass ich niemals
bewusst etwas tun würde, was auch nur einem von ihnen schaden könnte. Täte ich
das, könnte ich kein Vertrauen mehr verlangen, und ich stünde an der Stelle, an
der mein Vater gestanden hat.«
Als er kurz verstummte, sah sie auf. Patrick schien mit seinen Gedanken
in der Vergangenheit zu stecken, und auch wenn es ihr unter den Nägeln brannte,
mühte sie sich doch zu warten, bis er von alleine weiterredete. Alle im Haus
hatten sich die größte Mühe gegeben, ihr zu er-klären, was Werwölfe genau
waren, aber keiner hatte bisher ein Wort über ihre Geschichte verloren. Sie
wusste nicht mal, wie Patrick überhaupt in seine heutige Position gekommen war.
»Bs ist noch nicht sehr lange her, dass meine Rasse mit nichts anderem
beschäftigt gewesen war, als sich gegen andere zu verteidigen. Die Welt, in der
wir damals lebten — und streng genommen auch heute noch —, war feindlich.
Gewalt war innerhalb des Rudels so normal, dass sich niemand sonderliche Gedanken
darum machte, wenn einer bei Rangkämpfen starb. So kann ich mich noch an Zeiten
erinnern, in der das Rudel meines Vaters beinahe zwanzig Personen umfasste.« Er
lachte leise, aber es klang nicht im Mindesten amüsiert. »Es gab nur eine
Regel: Der Stärkste überlebt. Und mein Vater war dieser Stärkste. Aber ein
solches Prinzip hat auch seinen Preis. Ständig musste er sich nicht nur gegen
äußere Bedrohungen behaupten, sondern auch gegen die inneren Machtkämpfe, bis
er eines Tages unterlag.«
Laura wartete eine Weile, doch als er nicht fortfuhr, hakte sie nach.
»Und gegen wen?«
Der Blick, mit dem er sie daraufhin bedachte, war spöttisch, aber sein
Ton nüchtern, als er weitersprach. »Gegen mich. Ich war die ewigen
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