Die Spur der Woelfin
hatte ihr Kopf stets gewusst, dass sie nichts dazu
beigetragen hatte, jene Szene damals zu provozieren. Doch ihr Bauch wie auch
die ewigen Vorwürfe ihres Vaters hatten geschafft, dass sie an schlechten Tagen
sogar sich selbst die Schuld an der Vergewaltigung gab.
Erst Patrick hatte ihr ein anderes Gefühl gegeben. Er hatte sich für
mehr interessiert als nur ihren Körper. Und als sie nun ihren nüchternen
Bericht beendete, wagte sie es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen, aus Angst, er
könnte jetzt anders von ihr denken.
Doch er zog sie schlicht in seine Arme, und die Tränen, die sie sonst
nicht für sich hatte, brachen sich plötzlich Bahn. Das war es, weshalb sie es
ihm nicht hatte erzählen wollen. Der Schmerz, den die Erinnerung
heraufbeschwor, war bei weitem nicht so schlimm wie der Schmerz, der entstand,
wenn jemand versuchte, sie zu trösten. Sie hatte gelernt, damit zu leben, hatte
gelernt, es zu vergessen. Doch das stille Mitgefühl, das Patrick ihr nun
entgegenbrachte, ließ alles wieder an die Oberfläche zurückkehren.
Er sagte kein Wort, hielt sie einfach fest und strich ihr besänftigend
durch die Haare, während die Tränen unablässig über ihre Wangen liefen. Schwach
versuchte sie, ihn von sich zu schieben. Plötzlich war ihr seine Nähe zu viel.
Doch er ignorierte ihre Hände, die mit kaum nennenswerter Kraft gegen seine
Schultern drückten. Er bewegte sich nicht mal, und erst, als ihre Tränen versiegten,
ließ er es zu, dass sie sich von ihm löste.
»Himmel, jetzt habe ich dein Hemd ruiniert«, schniefte sie unter einem
mühsam abgerungenen Lächeln. Und er lächelte ungefähr ebenso humorlos zurück.
»Ich glaube, das ist jetzt das geringste Problem«, meinte er mit einem
schwach belustigten Unterton, ehe er ernster fortfuhr. »Laura, ich muss dich
von hier wegbringen. Und der sicherste Ort ist zurzeit dein Elternhaus.« Sie
wollte etwas einwenden, doch er schnitt ihr das Wort ab. »Es geht nicht anders.
Jeden Ort, den ich auswähle, würde er früher oder später entdecken. Laura, es
wäre auch nur für ein paar Wochen.«
Sie verstand, was er meinte, dennoch sträubte sich alles in ihr dagegen,
wieder zurück zu ihren Eltern zu fliegen. Sie wollte ihre Jugend, die sie erst
vor so kurzer Zeit hinter sich gelassen hatte, nicht erneut durchleben müssen.
»Bitte, verlang das nicht von mir«, wisperte sie, doch seine Miene wurde
abweisend.
»Ich will dich nicht verlieren«, erklärte er kühl, und als er sich erhob
und die Küche verließ, sah Laura ihm schweigend nach. Auch sie hatte ihren
Stolz, der es ihr verbot, ihn weiter darum zu bitten. Er hatte seinen
Entschluss getroffen.
Den Rest des Tages musste Laura sich ablenken, und so zerrte sie
schließlich die Tür zum Wintergarten nach draußen auf und machte sich mit einer
Schleifmaschine, wegen der sie Daniel extra in die Stadt gejagt hatte, und
Farbe daran, die tiefen Kratzer im Holz zu beseitigen. Die körperliche Arbeit
beruhigte sie, und nachdem sie bereits nach nicht mal zwei Stunden mit der
ersten Tür fertig war, begann sie, auch alle anderen reparaturbedürftigen Türen
an die frische Luft zu schleppen.
Niemand machte dabei den Versuch, sie anzusprechen. Stunden vergingen,
in denen sie in der brütenden Hitze arbeitete, aber niemand sprach sie an oder
bot ihr seine Hilfe an. Es schien, als hätten Patrick oder Vince etwas zu ihnen
gesagt, dass sie sie ausgerechnet jetzt in Ruhe ließen.
Es waren nicht Schmerz oder Trauer, was sie immer wieder tränenblind
innehalten ließ. Es war Wut. Reine, nackte Wut, die sich allerdings nicht gegen
Patrick richtete, sondern gegen ihren Väter. Die Erinnerungen, die in ihr
aufgestiegen waren, seit Patrick ihr seinen Plan mitgeteilt hatte, ließen sie
zornig werden. Zornig auf jenen Mann, der alles um sich herum als Spielball
missbraucht hatte, auf ihnen herumgetrampelt war, bis nichts mehr von ihnen
übrig gewesen war.
Laura hörte erst auf zu arbeiten, als die Sonne schon fast vollständig
versunken war und der kühle Wind ihren überhitzten Körper schaudern ließ. Erst
jetzt glaubte sie sich erschöpft genug, um schlafen zu können. Hastig packte
sie alles wieder zusammen und stellte die letzte Tür auf, damit die Farbe über
Nacht trocknen konnte. Morgen würde sie dann sämtliche Türen wieder einhängen.
Bis dahin würde zumindest die untere Etage ohne Türen auskommen müssen.
Die heiße Dusche entspannte sie, allerdings hatte sie diesmal
vorsorglich die Gardinen zugezogen. Er hatte
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