Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
befreien sollte. Im Radio idiotischerweise Phil Collins, »No way out«. Der Treckerfahrer hatte nicht einmal einen Blick in den Rückspiegel geworfen, war einfach hinter der Kurve weitergetuckert. Vielleicht auch besser so.
Ich steckte die Flasche in die Jackentasche. Wenige Meter weiter machte die Straße erneut eine Biegung, auf ihrem Scheitel zweigte eine asphaltierte Zufahrt auf einen Parkplatz ab. Ich hörte einen Wagen und drückte mich in die Büsche. Es nieselte wieder. Ein tropfenbeperlter Audi A6 bremste und bog ab, kurz darauf ein Golf eins, currywurstfarben. Der Parkplatz lag im Wald, umgeben von Sträuchern und jungen Kiefern. Möglichst unauffällig näherte ich mich und hoffte, dass niemand das Geräusch hörte, das der Schlamm beim Gehen in meinen Schuhen machte.
Aus dem Golf stieg eine junge Blonde, aus dem Audi ein Typ, der ihr Vater hätte sein können. Er hielt ihr die Tür auf, und sie schlüpfte in den Wagen. Sonst passierte nichts, außer dass der Regen kräftiger wurde und mein T-Shirt durchnässte. Ich sollte die Kleider wechseln, und eine Dusche wäre auch nicht schlecht, nur war jetzt nicht die Zeit dazu. Wann hatte ich eigentlich zum letzten Mal geduscht? Ich könnte die beiden um Hilfe für den Wagen bitten, vielleicht hatte der Audifahrer ein Abschleppseil dabei, oder die Blonde, denn ihr Auto schien gefährdeter, eines zu brauchen. Genau, ich würde sie fragen. Was stand ich hier eigentlich herum? Ich schob Zweige zur Seite, befreite mich aus dem Waldboden und wollte den Weg hinauf, als ich merkte, wie schmal er war. Meine Beine führten ein Eigenleben, obwohl mein Kopf ganz klar war. Ich kannte das, zu viel Wodka, zu schnell getrunken.
Also zurück zum Benz, in dem sie auf mich wartete. Aber würde nicht irgendein fürsorglicher Mitbürger den Rettungswagen und die Polizei rufen? Wenn das nicht schongeschehen war. Entsetzliche Vorstellung. Sie würden eine Alkoholkontrolle machen. Ich brauchte meinen Führerschein. Auf dem Lande war man amputiert, wenn man keinen hatte. Außerdem musste ich in den nächsten Tagen nach Köln zu einem Meeting mit der Produktionsfirma, meine Anwesenheit wurde erwartet. Und ich freute mich darauf. Wann war das noch mal? Mittwoch. Mittwoch, richtig. Morgen. Bis dahin gab es noch jede Menge Arbeit. Ich musste nach Hause. Dieser Scheißurlaub. Ich hielt mich an dem Stamm einer jungen Birke fest, atmete durch. Plötzlich hörte ich, wie der Audi startete und rettete mich ins Gebüsch. Sie fuhren im Schritttempo vorüber, hielten, bevor sie auf die Straße einbogen. Ich sah, wie sie sich küssten. Die würden meinen Benz nicht entdecken, wenn er ihnen den Weg versperrte. Ich ging weiter in Richtung Parkplatz. Als ich mich umdrehte, waren sie weg.
Der Golf stand verlassen und, wie ich mit einem Handgriff feststellte, verschlossen. Es war nicht das erste Mal, dass ich ein Fahrzeug benutzte, das mir nicht gehörte. In der Zeit mit Toni damals hatten wir das öfter getan. Nie hatte jemand etwas gemerkt. Nur einmal. Aber wir waren nicht in Verdacht geraten, und die Autos hatten keine Schramme abbekommen. Wir hatten sie nur für ein paar Spritztouren geborgt oder als Unterschlupf mit einem Mädchen, wenn das Wetter schlecht war. Es war keine große Sache, die Fahrertür zu öffnen und das alte Möhrchen zu starten. Trotzdem stand mir der Schweiß auf der Stirn, als der Motor lief. Ich wusste nicht, wie viel Zeit ich hatte, bis sie wiederkamen oder bis der besorgte Mitbürger am Benz eintreffen und die Räder der Institutionen in Bewegung setzen würde. Das Parfüm der Blonden hing noch in der Luft.
Als ich am Benz ankam, prasselte der Regen und schoss die Straße hinab. Mir kam es vor, als sei das Wasser im Graben gestiegen. Kein Mensch weit und breit.
Es musste sein, Honey, sagte ich, nachdem ich umgepackt hatte, tropfnass auf dem Fahrersitz hing und den Golf eine schnurgerade Allee entlangsteuerte. Sie fragte nicht, woher ich den Wagen hatte. Sie fragte nie, solange sie bei mir sein konnte, und ich tat, was getan werden musste. Jetzt musste ich uns nach Hause zurückbringen. Und dort? Was erwartete sie dort? Von mir. Und von allem …
Ein Straßenschild verwies auf die Autobahn, die ich gern genommen hätte, aber besser mied. In ein paar Stunden wäre ich zu Hause. Die Flüsse waren auch kein Weg mehr. Am besten, ich fuhr an den Rand und orientierte mich auf der Karte. In dem Golf hatte sich kein Navi gefunden. Wahrscheinlich wohnten die beiden in einem
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