Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
Weise?«
»Na, hören Sie mal! Die sind illegal. Sie hätten längst ausreisen müssen, und wir haben ihnen jede Chance gegeben.«
»Außer der, hierzubleiben.« Die Chance, die die Piotrowsky meinte, bestand in der Möglichkeit, freiwillig in ein Land zu reisen, in dem ihnen Gewalt, Folter und Tod drohten, oder zwangsweise abgeschoben zu werden. Wenn man die Wahl hat, hatte Bayer gesagt, ist alles gut.
»Das liegt nicht in unserer Hand.«
»Sondern?«
Sie hob die Schultern. »Es steht im Gesetz.«
»Seit Jahren steht die Vorgehensweise im Gesetz.«
»Die Chalids haben auch seit Jahren eine Duldung bekommen. Sie hätten vorbereitet sein müssen, dass das nicht endlos so weitergeht.«
Julia spürte, wie ihre Gesichtsfarbe wechselte. »Dafür, dass sie sich hätten vorbereiten können, hat sich herzlich wenig geändert. Oder denken Sie, dass sie jetzt im Libanon sicherer sind, als zu irgendeinem früheren Zeitpunkt?«
»Was ich denke, steht hier nicht zur Debatte. Es gibt einen Beschluss. Der ändert sich auch nicht, weil Ihnen das jetzt in den Kram passt.« Mit der Falte zwischen den Brauen sah die Piotrowsky nicht mehr ganz so perfekt aus.
»Wir ermitteln in dem Todesfall von Rasid Chalid. Wir brauchen die Eltern hier.« Julia hatte das zwischen den Zähnen hervorgepresst und hörte selbst, wie schwach das klang.
Die Piotrowsky atmete ein und widmete sich wieder der Akte. »Wie ich von Ihrem Kollegen, wie heißt er noch mal, weiß, haben Sie die Eltern schon befragt. Es gibt also keinen Grund …«
»Wir möchten sie, oder zumindest Frau Chalid, noch einmal hören.« Die konnten die Mutter doch nicht vor der Beerdigung des Jungen ausweisen.
»Das ist kein hinreichender Grund, es sei denn, Sie geben mir die Bestätigung des Richters, dass sie als Zeugin unabkömmlich ist.«
Die hatte Julia nicht. Noch nicht. Und sie hegte Zweifel, dass sie sie bekommen würde.
»Wie würden Sie das finden, wenn man Sie abschieben würde, während die Leiche Ihres Kindes im Leichenschauhaus liegt?«
»Ich habe keine Kinder. Und vor allem habe ich keine Zeit mehr. Die Chalids sind wirklich nicht der einzige Fall, den ich zu bearbeiten habe.« Sie verbesserte sich: »Hatte. Auf Wiedersehen, Frau Morgenstern.«
»Dann sollten Sie sich vielleicht welche anschaffen, damit Sie kapieren, dass …«
Die Piotrowsky sprang auf. »Jetzt reicht’s. Ich arbeite hier bis zur Vergasung, und Sie stehlen mir die Mittagspause. Raus jetzt!« Nun sah sie gar nicht mehr perfekt aus. Julia erhob sich und ging langsam nach draußen. Vergasung hallte nach. Auf dem Flur wurde ihr schlecht.
In Bayers Wohnung war es brüllend heiß.
»Kommen Sie schon. Ich warte auf Sie.« Heute trug er ein weißes, oder fast weißes, Hemd und die obligatorische Cordhose. Julia riss sich die Jacke vom Leib. In dem Wohnzimmer mussten an die dreißig Grad herrschen. Sie warf sich in einen der Sessel und bat um ein Glas Wasser. Die Bücherstapel schienen höher geworden zu sein, ummauerten die Luft oder das, was der Ofen davon übrig gelassen hatte.
»Was haben Sie eigentlich mit den ganzen Büchern vor?«, fragte Julia. Und wo kommen die alle her?
»Sie haben sich so angesammelt mit der Zeit«, beantwortete er ihre nicht gestellte Frage, setzte sich ebenfalls und legte den Kopf schief. »Jetzt müsste erst einmal entschieden werden, was zu tun ist.«
»Sie sagen, wo die Bücher hin sollen, und ich trage sie hin.«
»Schleppen oder reden?«
»Ich dachte …«
»Da ist ein bisschen was durcheinander geraten. Stefan Fels hat Sie zu mir geschickt wegen einer Therapie. Es wäre schon ganz gut, wenn wir erst klären, ob sie stattfinden soll oder nicht.«
»Zahlt das denn die Krankenkasse?«
»Haben Sie nicht einen Antrag unterschrieben?«
Hatte Julia, jetzt erinnerte sie sich.
»Den schicke ich weg. Zuvor können Sie fünf Probestunden in Anspruch nehmen. Also was?«
Es war nicht so, dass Julia nicht genug auf dem Herzen gehabt hätte, um es endlich irgendwo zu lassen, nur …
»Normalerweise kommt man mit den Dingen zurecht. Manchmal auch nicht. Dann ist ein Gegenüber nicht ganz verkehrt.«
Das stimmte schon, aber …
»Sie müssen nicht. Sie können. Wenn Sie wollen.« Bayer wartete.
Julia zog den Hefter mit Isaacs Aufzeichnungen aus der Tasche. »Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet jetzt wieder daran denken musste. Ich habe lange nicht daran gedacht und auch nicht hineingeschaut. Und jetzt träume ich sogar davon. Therapeuten sind doch ganz
Weitere Kostenlose Bücher