Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
der Fischerkate , einem zum Hotel umgebauten Bauernhof, gelacht. Eine Beschreibung entstanden zu DDR-Zeiten mit den ausgedehnten Truppenübungsplätzen und der mangelnden Infrastruktur in der Region. Viel geändert hatte sich nicht, denn Altwarp besaß neben einem Tante-Emma-Laden nur noch eine Art Kiosk, an dem Fisch verkauft wurde, und eben die Fischerkate , in der wir gewohnt hatten. Die Winter mussten trostlos sein, wenn schon die Sommer öde waren.
Ich verstand nicht, was sie hergezogen hatte. Ganz begeistert war sie von den Wäldern und Wachholderhainen, von den Heideflächen und Binnendünen. Und von der Küche. Oder dem Koch. Ihre Augen strahlten, wenn sie mit ihm über die Herkunft von Vanille und die Konsistenz von Avocado plauderte. Was sie nur an diesem Typen fand, einem Männlein in den Dreißigern mit Kugelbauch und abstehenden Ohren? Ich sollte sie wirklich danach fragen, vielleicht nachher, auf der Fahrt.
Zwischen den Kiefernstämmen hing die Dämmerung, der Lack meines Wagens glänzte matt. Ich hatte ihn am äußersten Ende des Parkplatzes in einer Nische zwischen niedrigem Gestrüpp abgestellt. In der Fischerkate hockten ein paar Männer um den Stammtisch herum, wenig Betrieb, kein Wunder in dem gottverlassenen Nest und bei dem Wetter. Aus dem Nebengelass, in dem der Wirt Kühe, Ziegen und anderes Viehzeug hielt, schlug mir der Gestank von warmem Mist entgegen, Hausschlachtung, hatte der Koch gesagt und uns zwei Rinderhälften in der Kühlkammer gezeigt. Mir war übel geworden.
Mein Benz gab das vertraute elektronische Geräusch von sich, als ich ihn aufsperrte. Ich stieg ein und gab ihr eine Decke, sie fror leicht. Zart sah sie aus im schwindenden Licht, Haar floss über ihre Schultern, ihre Stirn hoch und klar, darunter wölbten sich die Brauen in ständiger Überraschung.
»Wir nehmen den Weg über Szczecin«, flüsterte ich. »Und dann die Oder hinauf.« Sicher war das ein Umweg. Waren nicht die Umwege das Faszinierende am Leben?Die Umwege und die Wasserwege. Ich lächelte ihr zu. Für einen Moment begegnete ich meinem Gesicht im Rückspiegel – gerade Brauen über Augen eher grau als blau, der Nasenrücken leicht von der Mittellinie abweichend. Was sie wohl mochte daran? Meine Hand fuhr übers Kinn und verursachte ein raschelndes Geräusch. Ich musste mich rasieren. Dann ließ ich den Motor an. Langsam setzte sich der Wagen in Bewegung, die Auffahrt hinunter, holpernd über die Betonschwellen der Panzerstraße, bis wir die Landstraße erreichten. Ich atmete auf.
Ein Straßenschild zeigte die Allee entlang in Richtung Eggesin. Die Lichtkegel meiner Scheinwerfer fraßen sich in das Dunkel unter den mächtigen Baumkronen, selten kam mir ein Fahrzeug entgegen. Beidseits der Straße Kiefernwälder. Im Internet hatte gestanden, dass ein Rudel Wölfe das weite Areal durchstreifte. Wölfe! Ich schob den Gedanken beiseite, wollte mich aufs Fahren konzentrieren. Sprühregen benetzte die Scheiben. Seit mein Wagen einmal gegen eine Leitplanke geschlingert war, raste mein Herz, wenn ich bei Regen in der Nacht unterwegs war. Das ein oder andere Mal hatte ich sogar anhalten und einen Schluck aus der Brandyflasche nehmen müssen, um das Zittern zu beherrschen und weiterfahren zu können.
Die Straße vor mir zerschnitt den Wald, ohne in eine Parkbucht oder wenigstens einen Seitenweg abzuzweigen, nicht einmal ein Seitenstreifen. Wenn ich eine Pause bräuchte, müsste ich im Gras halten und ein paar Schritte in den Wald gehen. Und dann – Wölfe. Der Gedanke ließ mich nicht los, und ich spürte einen Druck in der Brust, einen wohlbekannten. Die Brandyflasche lag im Handschuhfach. Sie mochte es nicht, wenn ich mir ein wenig Beruhigung genehmigte, dabei hatte ich es ihr erklärt. Manches verstand sie einfach nicht.
Das erste Mal hatten wir uns bei einer Flasche Wein getroffen, zugegeben einer zerbrochenen. Mir kam es vor, als sei eine endlose lange Zeit seit dem Sommer vergangen, in dem ich sie kennengelernt hatte, obwohl er keine drei Jahre zurücklag. Wenn ich heute an diesen ersten Abend dachte, war ich mir nicht mehr sicher, was ich überhaupt am Bahnhof Lutum, einem abgelegenen Haltepunkt zwischen Coesfeld und Billerbeck, gewollt hatte. Wahrscheinlich war ich mit meinem nagelneuen Cabrio, das ich später gegen diesen Benz getauscht habe, ein paar Kilometer über Land gefahren, um mir den heißen Wind um die Nase wehen zu lassen. Klar, so musste es gewesen sein.
Seit Tagen hatte die Sonne auf die
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