Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
öffnete sich, ein Weißbekittelter mit grauem Kurzhaarschnitt wehte herein. Er lächelte schief und aufmunternd und reichte Julia die Hand.
»Doktor Von dem Berge«, sagte er.
Julia ergriff die Hand, trocken und schlaff. »Morgenstern, Kriminalpolizei.«
Die Schuhe des Arztes quietschten auf dem Boden, als er sich zu Sven umwandte, um auch ihn zu begrüßen. »Haben Sie schon den Namen des Jungen herausfinden können?«, fragte er und zog eine Braue hoch. Die gesamte linke Gesichtshälfte verrutschte bei dieser winzigen Bewegung, nur der Mund lächelte weiter.
Julia erhob sich und vermied es, Conrad anzusehen. »Bisher haben wir keinen Hinweis auf seine Identität«, sagte Sven. »Wir hatten gehofft, dass sich die Eltern inzwischen gemeldet hätten.«
»Nein. Leider nicht.«
Julia dachte, dass man die Schulen abklappern müsste, zuerst die in Coesfeld, dann die Dülmener. Sie betrachtete das junge Gesicht, die dunklen Strähnen auf der glatten Stirn. Wer weiß, in welchem Teil der Welt er geboren worden war, er oder seine Eltern oder die Großeltern.
»Wie steht es um Herrn Böse«, ergriff Sven das Wort.
Von dem Berge stellte sich ans Fußende von Conrads Bett und sprach ihn an: »Herr Böse?«
Keine Reaktion.
»So schlecht, wie es aussieht, sieht es nicht aus. Das MRT zeigte eine mäßige und lokale Hirnschwellung, kurzzeitig war er beatmet, vorsichtshalber, aber in den frühen Morgenstunden konnten wir ihn extubieren. Das ist erst einmal ein gutes Zeichen. Wie sich alles weiterentwickelt, muss man abwarten.«
»Wann wird er wach?«
»Sicher bald. Die Narkotika, die wir ihm gegeben haben, müssen noch eliminiert werden.«
»Dann können wir mit ihm reden?«, fragte Julia und sah immer noch nicht zu Conrad hinüber. So konnte sie ihn einfach nicht anschauen. Nicht Conrad.
»Selbstverständlich.« Wieder dieses schiefe Lächeln, das kein rechtes Lächeln war, eher der Ausdruck von geübtem Mitgefühl.
»Wenn uns Schwester Helga reinlässt«, wandte Sven ein.
»Sie ist ein wenig schroff, aber eine qualifizierte Kraft. Ich werde sie anweisen, das zu tun.« Er trat ans Nachbarbett und drückte ein paar Knöpfe am Beatmungsgerät, nickte zufrieden. »Auch für uns ist wichtig, wer er ist. Die Verwaltung hat heute Morgen schon angerufen. Es ist keineswegs sicher, wer die Kosten übernimmt.« Damit wandte er sich ab. »Sie können bleiben, solange Sie wollen.« Hob die Hand und verließ den Raum.
»Ja, klar, die Kosten. Die sind auch das Wichtigste.« Sven starrte auf die geschlossene Tür. Der Arzt hob erneut die Hand, als er am Fenster vorbeiging, das den Blick auf den Gang freigab. Er lächelte wieder mit diesem schiefen Gesicht, diesmal etwas befreiter, wollte Julia meinen. »Was für ein wichtigtuerischer Pinsel«, unterbrach Sven ihre Gedanken.
»Was hast du gegen ihn?«
»Nichts. Eigentlich gar nichts. Ich mag nur so ein gescheites Gerede nicht.«
»Empfindlich, Bentrup?«
»Wen wundert’s.« Er hob den Kopf. »Lass uns abhauen. Bringt ja doch nichts hier.«
Sie knüllten die Schutzmäntel in den dafür vorgesehenen Behälter und atmeten auf, als sie die Intensivstation hinter sich ließen. Auf der Treppe stieß Julia beinahe mit einer Frau zusammen, die einen Blumenstrauß trug, und wich einem Paar in mittleren Jahren aus. Die Frau trug ein Kopftuch und schlurfte gebeugt hinter ihrem Mann her.
4
Hier hatte ich nichts mehr verloren. Kurz vor neun und die Sonne war untergegangen überm Haff. Was für ein lächerliches Meer oder Beinahe-Meer. Das Land dahinter nur ein schmaler Streifen, der die See abschirmte, die Ostsee. Aber auch sie eher ein großer Tümpel, gemessen an den Weiten der Ozeane.
Es dunkelte längst. Die Taschen und Koffer hatte ich schon am Nachmittag verstaut, und sie wartete auf die Abfahrt.
Nach Hause, endlich.
Es war eine bescheuerte Idee gewesen, im nordöstlichsten Zipfel Deutschlands Urlaub machen zu wollen, als hätte man nicht ebenso gut, und um vieles bequemer, an die Costadel Sol reisen können, oder auf die Kanaren, mit dem Flieger in die Sonne. Stattdessen hatte ich mich überreden lassen, und ein Regentag hatte erwartungsgemäß den anderen abgelöst, bis eben die Wolkendecke aufriss. Am Morgen hatte der Regen entgegen meiner Hoffnung nur eine kurze Pause eingelegt.
Die Kiefern tropften noch und nickten mir zu, während ich den Sandweg hinab zum Parkplatz ging. Kiefern, nichts als Kiefern und Sand. Kiefernmeer, Sandmeer, nichts mehr!, hatte der Koch von
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