Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
Audi 80 von deinem Vater?«
»Klar«, antwortete ich zwischen zwei Bissen.
»Dann brauchst du ein neues Auto. Ein neues Auto hilft gegen alles. Ein Mann braucht ein gutes Auto.«
Die Pizza war knackig und schmeckte wahrscheinlich besser, als mein Appetit mir zu würdigen erlaubte. Ich kaute langsam und legte das Besteck nach kaum der Hälfte zur Seite. Toni nahm am Telefon eine Bestellung entgegen.
In der Schule waren wir eher Konkurrenten als Freunde gewesen. Einmal hatte Toni die trendigsten Jeans, einmal ich die angesagtesten Turnschuhe. Wir trafen uns eine Zeit lang am Kriegerdenkmal, bis sie uns wegjagten und wir uns an der Sporthalle am Pius versammelten. Scheiße im Winter. Doch in Tonis Heim war zu wenig Platz für die Leute, die darin wohnten, und in meinem war es so eisig wie draußen angesichts der Vorurteile meines Vaters und der scheelen Blicke meiner Mutter. Vater hatte mich rausgeboxt, als sie uns beim Klauen im Fahrradgeschäft erwischten. Itaker, Polen, das ganze Gesocks, hatte er gesagt, und Mutter hatte gejammert, was soll denn nur aus dem Jungen werden. Toni musste Sozialstunden leisten.
»Was fährst du denn jetzt?« Das interessierte mich schon.
»Einen A 4, Jahreswagen.« Er grinste breit: »Cabrio«, dann noch breiter.
»Farbe?«
»Silber.«
»Geil.« Ein alter Neid verschaffte sich Raum. Vielleicht sollte ich mir wirklich ein neues Auto leisten. Ich träumte in der Nacht davon.
Am nächsten Morgen duschte und rasierte ich mich, räumte die Wohnung auf, steckte Wäsche in die Waschmaschine, öffnete die Post, beantwortete E-Mails, brachte den Müll hinaus, goss die Reste der Pflanzen auf der Fensterbank und zerriss schließlich Isabells Brief.
Der Autohändler in Billerbeck war ein hochgewachsener, hagerer Mann Mitte sechzig. Er begrüßte mich mit der Frage nach dem Wohlergehen meines Vaters, die ich einsilbig beantwortete, und er gab sich damit zufrieden. Als ich den Parkplatz des Autohauses verließ, hatte ich einen Kaufvertrag in der Tasche. Am Abend zogen schwere Gewitter heran und entluden sich über der Stadt, dann sengte wieder die Sonne vom Himmel.
Zwei Tage später ließ ich mich in den Ledersitz meines neuen Audi Cabrio fallen. Schwarzer Lack und helles Leder. Er roch neu, obwohl er schon einige Kilometer gelaufen war. Wie die das wohl hinkriegen, fragte ich mich und startete den Motor. Der Fahrtwind kühlte kaum, trotzdem stellte sich ein Gefühl von Freiheit ein, während ich über Wirtschaftswege durch die Bauernschaften gondelte. Blutrot ging die Sonne unter. Der Wagen holperte über den Gleisübergang am Bahnhof Lutum, und ich hielt an einem Gasthof mit einer mächtigen Kastanie vor der Tür. Als ich ausstieg, war es still bis auf das Gemurmel der wenigen Gäste und das Gurren der Tauben. Ein Sommerabend wie aus dem Bilderbuch.
Das erste Mal seit Tagen verspürte ich Appetit. An einem vom Laub der Kastanie beschatteten Tisch nahm ich Platz. Ein schlaksiger Junge, nur durch seine bodenlange Schürze als Bedienung zu erkennen, stakste heran, fragte, ob ich etwas wünschte, und zischte ab, bevor ich den Mund aufmachen konnte. Mit einem entschuldigenden Lächeln und einem Block kam er zurück. Ich bestellte einen halben Liter Weizen, nachdem er eine Reihe von Biermarken heruntergerattert hatte. Augenblicklich huschte er davon, ohne auf mein Hallo zu achten, drehte sich aber an der Tür zum Fachwerkhäuschen um und schlackerte zu meinem Tisch zurück.
»Wenn Sie etwas essen wollen, müssen Sie sich gedulden.«Er hob die Schultern. »Eine neue Karte und eine Aushilfe in der Küche.« Er verdrehte vielsagend die Augen. Das konnte ja heiter werden. Am Nebentisch servierte eine Dralle zwei Teller mit Steak und Salat. Der Duft von Gebratenem und Knoblauch wehte herüber. Sie drehte sich um und lächelte mich an. Augen groß und honigfarben, darüber dichtedunkle Wimpern, ein fröhliches Grübchen in der Wange. Fülle und Strahlen, ganz anders als Isabell. Und ganz anders als Isabells Freundin, mit der ich nach der Trennung beinahe eine Nacht verbracht hätte. Nur war sie nicht wiedergekommen nach einem langen Abend, an dem wir durch die Kneipen von Münsters Hafenviertel gezogen waren. Stattdessen hatte sie eine SMS geschickt. Sie müsse arbeiten. An einem Samstag. An dem Samstag darauf auch. Wir schickten ein paar Nachrichten hin und her, bis sie schwieg. Meine Wohnung blieb leer, nur die Lüftung des Rechners summte, und Mutter klagte auf den Anrufbeantworter.
»Sie
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