Die Spur des Blutes (German Edition)
aufhören. Jess riss sich Handschuhe und Schuhschützer herunter und rammte die Füße zurück in ihre Schuhe. Wer sollte noch alles gefoltert oder ermordet werden oder beides, bevor dieser Mistkerl seinen letzten Zug machte?
Worauf wartete er noch?
Jess strich sich die Haare hinter die Ohren, schlang sich ihre Tasche über die Schulter. »Hat jemand die Familie kontaktiert?«
»Deputy Chief Black erledigt das gerade.«
Jess könnte Lil anrufen. Sich vergewissern, dass ihr nichts zugestoßen war, und ihr die Neuigkeiten beibringen.
Innerlich begann sie zu zittern. Lil und ihre Familie mussten noch heute Abend die Stadt verlassen. Was war nur los mit ihnen? Verstanden sie denn nicht, dass da draußen ein Mörder war, der sich jeden ins Visier nahm, der ihr nahestand?
»Sonst noch was?«, fragte sie. Er hatte noch mehr zu sagen, das erkannte sie an seiner grimmigen Miene und der Art, wie er Augenkontakt vermied.
»Gant hat angerufen.«
Darum war es also in dem Telefonat dort drinnen gegangen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Und?«
»Und er ist sauer.«
Das war ja nichts Neues.
»Es gibt keine rechtliche Grundlage, um sich in deine Ermittlung einzumischen«, wandte Jess ein. »Dies ist dein Zuständigkeitsbereich, Herrgott noch mal. Dein Revier. Solange deine Zuständigkeiten nicht mit seinen kollidieren, kann er gar nichts machen.« Es gab Fälle, in denen das FBI die Ermittlung von den örtlichen Polizeikräften übernehmen und/oder sie blockieren konnte – wie bei einem Bankraub oder im Wesentlichen jedem Verbrechen, das auf Bundesgebiet begangen wurde. Doch dies war kein solcher Fall.
Das musste sie Burnett nicht sagen.
Was also war das Problem, verdammt? Er sah aus, als hätte ihm ein Schulhofschläger sein Geld fürs Mittagessen abgepresst.
»Er hat gedroht, dich in Gewahrsam zu nehmen und als Verdächtige in dem Spears-Fall festzuhalten, den er bearbeitet, wenn du weiter an den Ermittlungen des BPD teilnimmst. Anscheinend hat ein bundesweiter Nachrichtensender eine Schlammschlacht eröffnet, was unsere Ermittlungen angeht und den Fall Spears und die Beteiligung des FBI. Spears’ Anwalt wurde interviewt, und er droht mit einem Prozess.«
Ihre Kinnlade klappte herunter. »Was hast du dazu gesagt?«
»Es ist mein Job, mit solchen Situationen diplomatisch umzugehen, Jess. Ich kann nicht zulassen, dass das BPD gegen das FBI in den Krieg zieht. Und ehrlich gesagt kann ich ihn nicht davon abhalten, dich zur Verdächtigen zu erklären und genau das zu tun, was er angedroht hat.« Er zuckte die Achseln. »Ich habe ihm gesagt, was er hören wollte. Du bist von dem Fall abgezogen. Ich übertrage Deputy Chief Black die Leitung. Die Kriminalpolizei übernimmt von hier an.«
Für ungefähr fünf Sekunden überkam Jess so heftige Wut, dass sie auch dann kein Wort hätte sagen können, wenn sie es gewollt hätte; dann fiel ihr auf, wie Burnett sich ausgedrückt hatte.
Ich habe ihm gesagt, was er hören wollte
.
»Na gut«, sagte sie vorsichtig, »dann hast du ihm also gesagt, was er hören wollte. Was sagst du mir?« Sie hielt den Atem an.
»Scheiß auf Gant. Er kann sich mit Black abstimmen. Harper und ich halten dich auf dem Laufenden. Gant kann nicht kontrollieren, was du machst, solange er nichts davon weiß.«
»Was tun wir dann jetzt?« Ins Krankenhaus, so wie geplant, konnte sie ja jetzt nicht mehr. Der Hurrikan der Gefühle in ihrem Inneren machte jeden logischen Gedanken unmöglich. Gant wollte, dass sie von dem Fall abgezogen wurde. Sie verstand, dass ihm bis zu einem gewissen Grad die Hände gebunden waren. Im Hinblick auf die laufende Untersuchung der Dienstaufsicht konnte Gant wohl kaum ein Auge zudrücken und all das ignorieren. Wenn die Dienstaufsicht genug Druck machte … wie weit war er dann gezwungen zu gehen?
Und was, wenn er recht hatte und sie unrecht?
Diesen Gedanken konnte sie nicht akzeptieren … noch nicht.
»Black informiert uns laufend über Howards Zustand«, sagte Burnett. »Du und ich, wir fahren jetzt nach Hause und überlegen uns eine Strategie.« Er warf ihr einen Blick zu, ohne Augenkontakt zu suchen. »Hast du in der Tasche da alles, was du brauchst?«
»Klar.« Sie besann sich kurz. »Nein, warte, wir müssen meinen Wagen holen.«
Ihr zehn Jahre alter Audi war immer noch in der Innenstadt geparkt. Sie brauchte ihre Sachen aus dem Kofferraum. Warum sie sie nicht gleich mitgenommen hatte, als sie vor einigen Stunden ihren Koffer geholt hatte, wusste sie
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