Die Spur des Blutes (German Edition)
stand sie unter dem Druck nackter Verzweiflung.
Und Gant schäumte vor Wut. Als Dan Jess nach Hause folgte, hatte er einen weiteren Anruf von ihm erhalten. Für Gant war dies nur ein zusätzlicher Beweis, dass Jess nicht sie selbst war. Dass sie sich von ihrer Fixierung auf Spears leiten ließ und nicht von den Fakten in diesem Fall.
In gewisser Hinsicht hatte der Mann recht. Das konnte Dan nicht bestreiten. Jess war sehr viel verletzlicher, als sie dachte.
Die Pepsi in der Hand tappte er barfuß ins Esszimmer.
Auf dem Tisch waren Papiere und Fotos ausgebreitet. Er sah zu, wie sie ein Foto in die Hand nahm und es aufmerksam studierte, bevor sie sich dem nächsten zuwandte. Sie ging auf und ab, von einem Ende des Raumes zum anderen, während sie auf der Suche nach Gemeinsamkeiten die Daten und Fakten aus dem früheren Spieler-Fall analysierte und mit diesem verglich.
Vor seinem geistigen Auge liefen immer wieder die Bilder von diesen Fotos und von dem Tatort von heute Abend ab, doch in seinem Kopf war Jess das Opfer. Er verscheuchte die störenden Gedanken und stellte eine Dose Pepsi für sie auf den Tisch, dann öffnete er seine. »Hast du etwas Brauchbares gefunden?«
Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Das ist falsch.« Sie zog die Brille ab und rieb sich die Augen, dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist einfach … falsch.«
Dan zog ihr gegenüber einen Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich darauf nieder. »Inwiefern falsch?«
»Wir glauben, dass der Spieler«, begann Jess mit müder Stimme, »sich seine Opfer nach sorgfältiger Betrachtung einer oder mehrerer Kandidaten aussucht, die geeignet sind, sein Bedürfnis nach Vergnügen zu befriedigen. Die Entführungen laufen stets reibungslos ab, was darauf schließen lässt, dass er sich sehr genau über die Gewohnheiten seiner Opfer informiert und sich den optimalen Zeitpunkt und Ort aussucht, um zuzuschlagen.«
»Doch bei Wells und Howard hat er das nicht getan. Sie wurden wegen ihrer Verbindung zu dir ausgesucht – nicht zu seinem sadistischen Vergnügen.«
»Richtig.« Jess strich sich mit gespreizten Fingern das Haar hinter die Ohren. »Darüber hinaus weicht die Vorgehensweise bei der Entführung stark ab. Der Spieler manipuliert keine Situation, er nutzt sie bloß aus. Ich meine, es ist möglich, dass er schon einmal eine ähnliche Strategie angewendet hat wie die heute, doch wir haben keine dokumentierten Beweise für irgendeinen Kontakt mit einem Opfer oder jemandem, der mit dem Opfer in Verbindung steht, vor der Entführung. Bis jetzt.« Sie drehte ihre Handflächen nach oben. »Die einzige Gemeinsamkeit bisher ist das Geschenk, das er schickt, um mitzuteilen, dass er sich ein Opfer geholt hat. Wie zum Beispiel, mir Loris Marke liefern zu lassen. Und die Blumen mit Howards Visitenkarte. Diese Technik wendet er jedes Mal an.«
Sie rieb mit dem Daumen über den goldenen Ring an ihrem linken Ringfinger und drehte ihn immer wieder. Diese Angewohnheit ärgerte ihn. Das war unangebracht, doch so war es. Der Ring war ein Symbol für das, was sie mit einem anderen Mann teilte, und er hatte ein Problem damit.
Er hatte kein Recht dazu. Mein Gott, er war drei Mal verheiratet gewesen.
Drei Mal
. Unglaublich. Das erste verhängnisvolle Mal zwei Jahre, nachdem er und Jess sich getrennt hatten. Meredith Dority, die persönliche Assistentin des Bürgermeisters. Die stürmische Ehe war ein Fehler gewesen und wahrscheinlich ohnehin nur eine Ablenkung. Er hatte Jess immer noch vermisst und gedacht, eine dauerhafte Beziehung wäre die Lösung. Falsch gedacht. Beim zweiten Mal war er Anfang dreißig gewesen. Da hatte er einfach plötzlich,
bumm
, den Wunsch gehabt zu heiraten. Nina Baron, Tochter von Senator Baron, hatte diesen unglücksseligen Gang vor den Altar nur allzu gern vollzogen. Seine Eltern waren ebenfalls begeistert gewesen, vor allem seine Mutter. Wenige Jahre später wurden sie geschieden, wegen unüberbrückbarer Differenzen. Dann, vor ein paar Jahren, hatte er Annette Denton geheiratet und wirklich gedacht, dass sie die Richtige war. Annette war schön, kultiviert. Und Dan liebte ihre Tochter. Zwölf Monate später waren sie beide bereit für die Trennung gewesen.
Er hatte keinerlei Recht, Jess ihre Ehe zu missgönnen.
Schluss mit den Erinnerungen an alte Zeiten. Das zeigte nur, wie müde er war. »Wenn Howard überlebt hat«, sagte er vorsichtig, woraufhin auch Jess aus ihren Gedanken auftauchte, »bedeutet das, dass auch Wells
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