Die Spur des Blutes (German Edition)
das Opfer noch atmete und bei Bewusstsein war. Allerdings wirkte diese Arbeit unentschlossen. Das Blut war auf dem dünnen Stoff getrocknet, sodass man die zerklüfteten Umrisse der Wunden durch ihn hindurch sehen konnte. Jess konnte nachvollziehen, dass er am Ort der Entführung zugefügte Wunden verband, um den Blutfluss einzudämmen, sobald er hatte, was er wollte. Aber das hier sah anders aus.
Der Schnitt unter dem Bauchnabel wirkte mehr wie reingedrückt, nicht wie ein glatter, präziser Schnitt, aber ziemlich breit. Etwas Blutiges ragte daraus hervor, als hätte er ein Objekt in die Wunde gestopft.
Darüber hinaus gab es keine sichtbaren Male. Keine Blutergüsse … keine Kratzer. Ein paar Gemeinsamkeiten mit der Arbeit des Spielers waren nicht zu übersehen, aber alles andere stimmte nicht. Howards Haut war unnatürlich blass und sauber, selbst um die Wunden herum. Sie wirkte zart, wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe.
Welch schreckliche Angst sie gehabt haben musste, bis die gnädige Dunkelheit sie in die Bewusstlosigkeit gezogen hatte.
Wenn man die Verletzungen an ihren Brüsten und die an ihrem Unterleib zusammen betrachtete, sah es aus, als hätte er versucht, ein blutiges lachendes Gesicht zu malen. Der Hass des Spielers auf Frauen zeigte sich immer in seiner Arbeit, wenn auch sonst mit ein bisschen mehr Stil. Jess hatte tief in Spears’ Vergangenheit gegraben, auf der Suche nach dem Ereignis oder den Ereignissen, die ihn dazu getrieben hatten. Er war in Südkalifornien aufgewachsen. Keine Geschwister, keine weitere Familie. Die Eltern waren gestorben, als er Mitte zwanzig war. Dank seiner Kreativität gründete er eine sehr erfolgreiche Softwarefirma. Als er dreißig war, gehörte die Welt der Sicherheitssoftware praktisch ihm. Während sein Unternehmen, SpearNet, zu einem Giganten heranwuchs, hatte er sich immer mehr aus dem Licht der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Jess’ Einschätzung nach hatte er sich, als es keine berufliche Herausforderung mehr für ihn gab, ohne Frau und Kinder, die ihn hätten ablenken können, ein neues Hobby gesucht, um die bösen Triebe zu befriedigen, die unter der scheinbar normalen Fassade brüteten.
Aber diese Theorie konnte Jess nicht beweisen … ihr Blick blieb an Howard hängen. Und dass es in diesem Fall so viele Spuren gab, kam ihr äußerst verdächtig vor. Das passte so gar nicht zu Spears’ Alter Ego, dem Spieler.
»Bedecken wir sie, Sergeant Harper.« Jess zeigte auf den Kleiderschrank. »Ich glaube, ich erinnere mich, darin saubere Bettwäsche gesehen zu haben.«
»Ja, Ma’am.«
Harper holte ein sauberes Laken und breitete es über Mrs Howard aus. Egal ob sie lebte oder starb, es war nicht nötig, dass sie noch weiter gedemütigt wurde. Die Sanitäter würden nichts dagegen haben. Und der Erkennungsdienst konnte zum Teufel gehen.
Jess beugte sich näher zu der Frau und flüsterte: »Halten Sie durch, Belinda, wir kümmern uns jetzt um Sie. Wir sorgen dafür, dass Sie nach Hause zu Ihrem Mann und zu Ihren Kindern kommen.«
Sie kämpfte eine Aufwallung von Gefühlen nieder und begann durch den Raum zu wandern, überprüfte Kleiderschrank und Badezimmer. Keine Botschaften, nichts Ungewöhnliches, nichts, was nicht heute Morgen schon so gewesen wäre. Warum brachte er Howard hierher zurück und ging das Risiko ein, gesehen zu werden, zumal die Nachbarn sicher noch wachsamer als sonst nach Fremden Ausschau hielten?
Das Reanimationsteam traf ein, zwei Sanitäter stürzten ins Zimmer, schwer beladen mit Ausrüstung. Harper machte den Weg frei, blieb aber in der Nähe, eine seltsame Kombination von Schock und Erleichterung auf dem Gesicht. Das Opfer war am Leben, aber vor allem war es nicht Lori. So erschreckend es war, wahrscheinlich empfand er genau wie Jess neben Mitleid auch Dankbarkeit. Der Officer, der mit der Bewachung des Opfers und des Tatortes betraut war, trat zur Seite und wartete auf weitere Instruktionen.
Burnett stand bei der Kücheninsel, das Handy am Ohr. Er benachrichtigte wohl die Familie oder das FBI. Jess hatte keine Ahnung.
»Sergeant.« Erst als die Sanitäter sich an Belinda zu schaffen machten, bemerkte Jess ihre Fußsohlen. Im Moment war das alles, was sie sehen konnte.
»Ja, Ma’am.«
»Machen Sie einen Abstrich von jedem Fuß, bevor sie weggebracht wird.«
Harper nickte und machte sich auf die Suche nach den geeigneten Werkzeugen. Das Team der Spurensicherung sollte mittlerweile draußen vor dem Haus sein. Wenn nicht,
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