Die Spur des Boesen
an«, rief ihre Mutter. Emily eilte ihrer Schwester hinterher.
Als die Mädchen um die Ecke verschwunden waren, drehte sie sich zum Küchenfenster, wo Mama May gerade mit ihrem blauen Ford Torino hüpfend zum Stehen kam.
Ungeduldig beobachtete sie Mama May, die mühevoll aus dem Wagen stieg und zur Haustür humpelte. Vor drei Jahren hatte sie eine neue Hüfte bekommen, doch trotz des Keramikgelenks konnte sie nicht mehr richtig gehen.
Sie hatte die Bilder gesehen. Bereits drei tote Ehemänner. Von damals aus den Fünfzigern, als May und Homer die Farm von seinen Eltern geerbt hatten. May Galindo war damals nicht attraktiv gewesen, und sie war es auch heute nicht. Groß, ein Gesicht wie ein Habicht, breite Hüften. Einen Mund voller Falten, dessen nach unten gezogene Mundwinkel von lebenslangem Missmut sprachen.
Wie immer trat sie ein, ohne anzuklopfen. Das Haus gehörte ihr — sie wollte, dass niemand das je vergaß. Ihre Schwiegertochter bedachte sie mit einem Blick, der so warm wie der einer Schlange war. »Hat Gordon heute Spätschicht?«, fragte sie.
»Bis Mitternacht.«
Auf ihrem Kopf prangte eine unnachgiebige Margaret- Thatcher-Frisur, ihr verächtlicher Blick konnte Blumen zum Welken bringen. »Es ist gut, dass dein Bruder geht.«
Sie unterdrückte die Wut, die in ihr aufstieg. »Er muss zurück.«
»Die Mädchen mögen ihn nicht. Sie sagen, er fasst sie immer an. Haben sie dir das erzählt?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Du weißt, wie sie sind. Besonders Sarah, diese Zicke.«
»So redet man nicht von seinen eigenen Kindern.«
»Warum lässt du das nicht meine Sorge sein? Wenn ich mich in Erziehungsfragen weiterbilden will, wärst du mit Sicherheit die Letzte, die ich fragen würde.«
Mama May und ihre Schwiegertochter standen einander auf dem abgenutzten Linoleum mit einem Meter Abstand gegenüber und starrten sich voller Abscheu an, bis sich die Jüngere ab wandte und zur Treppe ging.
»Auf geht's. Mama May ist da.«
»Sie heißt Teresa Fulbrook. Zumindest nennt sie sich jetzt so.«
Dougherty hielt den Atem an. »Oh?«
»Ich stecke meine Nase eigentlich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute. So ein Mensch bin ich nicht.«
»Natürlich nicht«, beruhigte sie Dougherty.
»Aber hier ist das was anderes.«
Dougherty streckte den Arm aus, klatschte Corso auf den nackten Oberkörper und deutete, heftig nickend, auf das an ihr Ohr gedrückte Handy. »Das ist was anderes«, wiederholte sie leise. Als Corso seine Beine aus dem Bett schwang und aufstand, fuhr die Frau fort.
»Wie gesagt... die Frau, nach der Sie suchen, nennt sich heute Teresa Fulbrook. Hat eine Stehfrisur. Zwei Töchter. Sieben und vierzehn. Die sind 's, um die ich mir Sorgen mache... um diese Mädchen.« Die Frau räusperte sich. »Die olle Fulbrook ist mir scheißegal.«
Dougherty drehte mit dem Daumen die Lautstärke im Kopfhörer ganz nach oben. Corso legte seine Wange an ihre und lauschte der blechernen Stimme.
»Woher kennen Sie sie?«, erkundigte sich Dougherty.
»Ihre ältere Tochter — sie heißt Sarah — geht in dieselbe Klasse wie mein Sohn Billy. Southshore Junior High. Sie sind in dem Alter... Sie wissen schon ... wo die Jungs anfangen, die Mädchen zu beachten und umgekehrt.« Dougherty spürte, wie unwohl sich die Frau am anderen Ende fühlte. »Egal«, fuhr sie fort, »ich denke, diese Frau — ich habe sie schon vorher ein paar Mal gesehen — ich denke, sie hat gesehen, wie Billy und ihre Sarah Händchen gehalten haben.« Sie zögerte, als hätte sie Angst, die Beherrschung zu verlieren. »Wie mein Billy erzählt hat, kam sie wie ein Racheengel angerannt, hat die beiden zusammengeschrien und das Mädchen in den Wagen gezerrt und ist abgedüst.«
»Ehrlich?«
»Das ist allerdings nicht das, worauf 's ankommt. Das Mädchen ist eine Woche lang nicht zur Schule gekommen, und jemand hat ihr das Haar komplett abgeschnitten. Ratzeputz alles weg. Sarah hat Billy erzählt, ihre Mutter hätte das gemacht.«
»Fürs Händchenhalten?«
»Was für eine Frau tut denn einem pubertierenden Mädchen so was an? In dem Alter haben sie doch sowieso schon genug mit sich zu tun, und ihr dann auch noch die Haare abschneiden?«
»Wissen Sie, wo die Frau wohnt?«
»Irgendwo auf der Route 10 Richtung Osten. Ich muss auflegen«, sagte sie plötzlich. »Die Kinder kommen nach Hause.«
Ein leises Klicken unterbrach die Verbindung.
»Bingo?«, meinte Dougherty.
»Die Sache mit den Haaren hört sich echt an.« Er
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