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Die Spur des Boesen

Die Spur des Boesen

Titel: Die Spur des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G.M. Ford
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— 4. September 1972. Unsere geliebte Tochter. Möge die Gnade Gottes ihr ewigen Frieden bescheren.«
    Ein heftiger Schauder ließ Corso innehalten — ein Wachtraum flackerte vor seinen Augen. Wie durch einen Dunstschleier hindurch sah er den dünnen, welligen Schatten eines Mädchens mit gefalteten Händen. Ihre Haare flatterten im
    Wind. Bevor er sich bewegen oder sprechen konnte, wandte sie ihren Kopf in seine Richtung und riss ihre Augen weit auf. Mit dem nächsten Windstoß war sie fort. Er blinzelte zweimal, dann wandte er sich ab, verärgert über seine plötzlich gesteigerte Einbildungskraft.
    Dougherty hatte ihre Kapuze über den Kopf gezogen, schaukelte auf ihren hohen Absätzen vor und zurück, während sie den Sonnenuntergang beobachtete. Corso war erleichtert. Sie hatte es nicht bemerkt. Er schloss seinen Mantel fest um seinen Körper und zog die Schultern hoch.
    »Sie hat genau hier gestanden«, sagte er.
    »Wer?«
    »Die neue Sissy Warwick.« Er machte mit der Hand eine ausladende Geste.
    »Hier irgendwo stand sie. Hat diesen Grabstein gesehen, diese Worte gelesen und beschlossen, dass Sissy Warwick ihr neuer Name sein wird.«
    Dougherty dachte darüber nach. »Glaubst du, dass sie sogar auf der Beerdigung war?«
    »Eine interessante Vorstellung«, überlegte er und schaute sich um. »Vielleicht hat sie aus der Ferne zugesehen. Vielleicht stand sie dort hinter den Eichen.« Er ging langsam im Kreis. »Ja... ich wette, so war es. Das sagt mir mein Gefühl.« Er drehte sich wieder zu Dougherty. »Dieses Mädchen hatte seinen Plan schon im Kopf. Kaum eine Woche nachdem die echte Sissy Marie unter der Erde war, hat jemand anderes schon ihre Identität benutzt und sich eine Geburtsurkunde und Sozialversicherungskarte besorgt.«
    »Aber woher sollen wir wissen, dass es dieselbe Sissy Marie Warwick ist, die ein Jahr später in Avalon in Wisconsin aufgetaucht ist?«
    »Weil die Frau in Avalon die gleiche Geburtsurkunde und
    Sozialversicherungsnummer benutzt hat, als sie etwa ein Jahr später Eldred Holmes heiratete.«
    Sie blickte ihn streng an. »Woher weißt du das?«
    »Von Sheriff Trask«, antwortete er schnell.
    Ihr Blick sagte, dass sie ihm nicht glaubte, doch ihr Mund sagte nur »komisch«.
    »Komisch ist, dass sie mehr oder weniger noch ein Kind war.«
    Dougherty runzelte die Stirn.
    »Überleg doch mal«, fuhr Corso fort. »Die echte Sissy Warwick starb an ihrem fünfzehnten Geburtstag. Dann ist doch logisch, dass diejenige, die beschlossen hat, ihre Identität anzunehmen, mehr oder weniger im gleichen Alter gewesen sein muss. Vielleicht eher noch ein bisschen älter als jünger. Unter fünfzehn dürfte sie kaum in der Lage gewesen sein, sich die ganze Sache auszudenken.«
    »Ein Kind, hä?«
    »Anders kann's nicht gewesen sein«, meinte er.
    Dougherty widersprach nicht. Stattdessen hakte sie sich bei ihm unter. »Gehen wir«, bat sie und zog sanft an seinem Arm. »Du kannst mich ruhig für bescheuert halten, aber ich will nicht mitten auf einem Friedhof stehen, wenn es dunkel wird.«
    Arm in Arm schlängelten sie sich zwischen den Gräbern hindurch. Keine einzige gerade Linie. Keine militärische Präzision. Die Anordnung der Gräber war dem Zufall überlassen worden, als hätte jemand die Grabsteine und Knochen in seine riesige Hand genommen und wie Würfel über den Friedhof verteilt.
    Dies war die letzte Ruhestätte der Erbauer der Stadt. Die Katholiken landeten hier oben. Ob arm oder reich. Ob alt oder jung. Ob gewöhnlicher Arbeiter am Hochofen oder
    Stahlbaron. Schlichte Steintafeln nur wenige Zentimeter neben reich verzierten Familienmausoleen, deren barocke, mit den Jahren grün und schleimig gewordenen Marmorengel mit ewigem Hochmut auf die weniger vom Glück Gesegneten hinabblickten.
    Hier und da schmückten frische Blumen ein Grab, doch die meisten waren zugewachsen und verwahrlost, als hätte man die Toten vergessen. Links von Corso lag ein umgekippter Grabstein im Gras, der Sockel von einem Netz aus Wurzeln überzogen, daneben ein verwitterter Pooh-Bär. Vor der aufgewühlten schwarzen Erde hoben sich im schwindenden Licht die glänzenden Reste silberfarbener Luftballons ab.
    Sie gingen über eine dichte, schwammige Matte aus Blättern und totem, gefrorenem Gras. Im Süden fiel der Hang nach unten ab. Allentown lag unter einem Tuch aus blauem Rauch, der aus den Schornsteinen aufstieg und sich wie schmutzige Baumwolle über die Dächer legte.
    »Und jetzt?«, wollte Dougherty

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