Die Spur des Drachen
schauten auf Danielles scheinbar bewusstlose Gestalt. Der Mann auf ihrer Seite griff durchs offene Fenster und versuchte, sie zu wecken. Als es ihm nicht gelang, sagte er auf Russisch etwas zu der Wache auf der Beifahrerseite und riss die Tür auf.
Danielle kippte heraus und fiel auf den Boden. Sie hörte den Schotter knirschen. Die Wache auf der Beifahrerseite eilte um den Wagen herum. Danielle spürte, wie die Arme des anderen Mannes nach ihr griffen, blieb jedoch regungslos, bis sie sicher war, dass der zweite Mann neben ihr stand.
Dann griff sie an.
Es ging sehr schnell. Blitze explodierten in der Dunkelheit vor ihren Augen, und die Abfolge der Ereignisse verwischte zu einem rasenden Wirbel von Bildern, bis beide Wachen bewusstlos zu Boden sanken.
Schwer atmend zerrte Danielle die Männer in ein nahes Gebüsch. Ihr Herz hämmerte. Ein Knie schmerzte, in einer Hand pochte es, und die Knöchel waren blutig und schwollen bereits an. Bei jedem Atemzug verspürte sie einen schneidenden Schmerz in den Rippen, unten, auf der rechten Seite.
Doch Danielle hieß den Schmerz willkommen. Sie hatte so lange Zeit nichts gespürt, dass es gut tat. Jahre zuvor, während ihrer Dienstzeit im Sayaret, waren es Augenblicke wie dieser gewesen, in denen sie sich am lebendigsten gefühlt hatte. Um den Job zu erledigen, musste man Gewalt nicht nur akzeptieren, man musste sie willkommen heißen. Nach dem Vorfall in Beirut hatte sich alles verändert. Der Höhepunkt war vor sechzehn Monaten gewesen, als Danielles Schwangerschaft ihr die Lust auf die Arbeit genommen hatte. Ihre eigene Sterblichkeit war auf einmal zum Thema geworden.
Jetzt aber fühlte sie sich frei, als wäre eine große Last von ihr genommen. Es war kein vollkommenes Glücksgefühl, doch nicht länger das Gefühl hoffnungslosen Elends, das sie jeden wachen Moment beherrscht hatte, seit sie ihr Baby und ihren Job verloren hatte. Sie fühlte sich erneuert, wiederhergestellt, wieder geboren. Sie war nicht mehr wütend, weder auf sich selbst, noch auf Ben.
Ben …
Er musste jetzt bereits in Russland sein. Danielle erkannte, dass sie ihn vermisste und sich Sorgen um ihn machte. Als ob sie jetzt, da sie sich endlich selbst vergeben hatte, auch ihm vergeben könnte.
Danielle sah Scheinwerfer den leicht ansteigenden Hügel heraufkommen und eilte zurück zu ihrem Wagen. Sie hoffte, die Abwesenheit der Wachen würde zumindest lange genug unbemerkt bleiben, dass sie die Russen befragen konnte, die die Thora bei Katz & Katz mitgenommen hatten. Greif sie dir alleine und diskutiere so lange es dauert, um herauszufinden, wohin die Schriftrolle mit den Diamanten geht. Die nächste Sprosse auf der Leiter.
Auf der Zentralpromenade waren keine Fahrzeuge erlaubt, also stellte Danielle den Wagen auf einem Parkplatz außerhalb ab, unter den wachsamen Blicken gut bewaffneter Zivilisten. Während sie zum Zentrum der Siedlung ging, fiel ihr auf, dass die israelische Armee nicht präsent war; die Bewohner von Klein Moskau hatten es offenbar vorgezogen, die Siedlung selbst zu schützen und zu überwachen. Das passte. Diese letzte Welle russischer Immigranten hatte sich selbst isoliert und ihre eigene Kultur hierher verpflanzt – eine Tatsache, die auf der Promenade mehr als deutlich wurde.
Russische Musik plärrte aus Läden, vor denen ältere Männer unter greller Außenbeleuchtung Karten spielten. Jüngere Männer tranken in den Bars und Cafés, die das Straßenbild beherrschten. Von Frauen war nicht viel zu sehen; wenn doch, waren sie nicht allein. Danielle hatte keine Chance, sich unauffällig unter die Menschen zu mischen, während sie auf die Gelegenheit wartete, die zwei Russen allein zu erwischen.
Sich der misstrauischen Blicke bewusst, die ihr zugeworfen wurden, sah Danielle, wie die Männer, die sie aus Katz' Juweliergeschäft hatte kommen sehen, eine Bar betraten, in der eine Gruppe von Gästen zu einer russischen Ballade tanzte. Danielle setzte sich an den Tisch eines Straßencafés, von wo aus sie die Bar im Blick hatte. Sie war sich über ihren nächsten Schritt noch nicht im Klaren. Sie könnte die Bar auf gut Glück betreten oder bleiben, wo sie war und warten, um den zwei Männern weiter zu folgen, sobald sie wieder zum Vorschein kamen. Dann konnte sie ihren eigenen Zug machen, sobald sie den ersten dunklen Fleck erreichten, der Deckung bot.
Da sie offensichtlich eine Fremde war, dauerte es nicht lange, bis ein älterer Russe mit einer dichten weißen Haartracht und
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