Die Spur Des Feuers
Frage nochmal wiederholen? Also gut: Wen kennst du, der blaue Augen hat?«
»Ich hab dir doch gesagt –« Sie holte tief Luft. »Alle in meiner Familie haben blaue Augen. Ich habe blaue Augen. Meine Tante Marguerite hatte blaue Augen. Mein Bruder hat blaue Augen.«
»Und?«
Einen Moment lang brachte sie kein Wort heraus.
»Mein Vater hat blaue Augen«, sagte sie zitternd. »So. Bist du jetzt zufrieden?«
»Bist du es?«
»Hör auf, den Seelenklempner zu spielen und eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.« Aber sie musste es über die Lippen bringen. Sie musste es aussprechen. »Mein Vater und meine Mutter wollten sich scheiden lassen. Ich erinnere mich an
… hässliche Szenen. Sie haben sich fürchterlich gestritten. Über alles. Über mich, über Jason, über unser Haus. Es war das Geburtshaus meines Vaters, aber meine Mutter wollte es unbedingt haben. Als mein Vater mit Jason auf diesen Jagdausflug nach Kanada gefahren ist, war ich richtig froh, dass er weg war.«
»Eine normale Reaktion.«
»Aber ich hatte Schuldgefühle deswegen.« Seltsam, dass sie sich plötzlich wieder an den Tag erinnern konnte, an dem ihr Vater das Haus verlassen hatte. An die Erleichterung, die sie empfunden hatte, als sie zugesehen hatte, wie ihr Vater und Jason in das gelbe Taxi gestiegen waren, das vor dem Haus vorgefahren war. »Aber es hat mich gleichzeitig gekränkt, dass er Jason mitgenommen hat und nicht mich. Ich dachte, er liebt mich nicht mehr. Ich wusste ja, dass er meine Mutter nicht mehr liebte. Warum also sollte er mich lieben?«
»Ein Kind ist etwas anderes.«
»Er hat Jason mitgenommen. Mich hat er gar nicht erst gefragt, ob ich mitfahren will. Wenn meine Eltern sich gestritten haben, ging es immer darum, ob er Jason bekommt. Meine Mutter wollte, dass Jason und ich zusammenbleiben, aber er wollte seinen Sohn.«
»Ich glaube, deine Eltern werden mir allmählich immer unsympathischer. Sie hätten es nie zulassen dürfen, dass du diese Streitereien mitkriegst.«
Sie zuckte die Achseln. »Wenn so viel Hass da ist, breitet er sich unaufhaltsam aus.«
»Wie Feuer.«
Sie schaute ihn an. »Wie dieses Feuer.«
»Du glaubst, dass dein Vater das Feuer gelegt hat, in dem deine Mutter umgekommen ist?«
»Ich weiß nicht. Den ganzen Nachmittag hab ich versucht, mich durch die Ablehnung und die Verunsicherung zu kämpfen, die ich ihm gegenüber empfinde. Er hat sie gehasst. Er hat mich nicht geliebt. Er wollte nicht, dass sie das Haus kriegt. Und was ist passiert? Das Haus ist abgebrannt, meine Mutter ist bei dem Brand ums Leben gekommen und ich lag zwei Jahre lang im Krankenhaus.«
»Aber du warst eine Zeugin. Als du hilflos im Krankenhaus lagst, hätte er leicht eine Möglichkeit finden können, dich zu töten.«
»Aber das wäre ein unnötiges Risiko gewesen. Wer weiß? Ich lag im Koma. Ich hätte jeden Augenblick einfach sterben können. Und nachdem ich aus dem Koma aufgewacht war, konnte ich mich an nichts erinnern. Er wäre also nicht in Verdacht geraten. Es war gar nicht nötig, mich aus dem Weg zu schaffen.«
»Du glaubst also, er hat das Feuer gelegt?«
»Ich muss es angenommen haben. Ich wollte nicht glauben, dass er ein Mörder ist. Wenn ich es geglaubt hätte, hätte ich die Erinnerung nicht verdrängt.«
»Ein Mann mit blauen Augen. Das reicht nicht als Beweis. An was erinnerst du dich sonst noch?«
Sie schüttelte den Kopf. »An nichts. Du hast diese Erinnerung mit Gewalt aus mir rausgeholt.«
»Aber du hast dich gewehrt. Du hast mich nicht tiefer graben lassen.«
»Ich habe seine Augen gesehen. Aber der Rest seines Gesichts lag im Schatten.«
»Die Augen waren nur das Erste, was du gesehen hast. Du hast geglaubt, ihn zu erkennen, und das hat den Schock ausgelöst.
Ich kann dir helfen, dich an sein Gesicht zu erinnern.«
»Es war zu dunkel«, sagte sie hastig.
»Nicht so dunkel, dass du seine blauen Augen nicht erkennen konntest.«
»Das muss am Widerschein des Feuers gelegen haben.«
»Oder du hast die Augen im Bruchteil einer Sekunde wahrgenommen und nur einen kurzen Eindruck bekommen.
Wenn ich diesen Augenblick anhalte, hast du Zeit, dir sein Gesicht anzusehen.«
»Jetzt kannst du schon die Zeit anhalten? Das macht einen ja ganz verrückt. Gott, was kommt als Nächstes?«
»Das kann man nie wissen. Ich bin ein Mann mit ungeahnten Möglichkeiten.« Er musterte sie. »Du hast Angst, nicht wahr?«
»Nein, ich –« Sie unterbrach sich. »Vielleicht. Das ist alles noch zu neu.
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