Die Spur des Tieres
steckenden Fackeln an sich riß und damit auf die Hand am Boden losging.
Und als wirklich Allerletztes glaubte sie eine Stimme zu hören (Salvat?), die feststellte: »Wenn du das tust, stirbt sie!«
Sie?
*
»Wer - ist das?« flüsterte Beth.
Charles Belier reagierte nicht.
Die Schritte kamen näher; aus dem oberen Stockwerk die Treppe hinab in den Laden, in dem geheimnisvolle Düfte schwebten, so als lagerten hier nicht einfache Stoffe, sondern rare Gewürze aus aller Herren Länder.
»Wer ist das?« drängte Beth erneut. Sie kauerte neben ihrem greisen Sohn hinter einer langgezogenen Verkaufstheke aus Palisanderholz. Ihr Arm hätte den Mann, der um seine Kindheit und mehr betrogen worden war, nicht einmal ausgestreckt erreichen können - zu groß war auch die räumliche Kluft, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte.
Belier (Es ist nicht David! trichterte sich Beth ein, wiewohl ihr klar war, daß dieser Versuch eines Selbstbetrugs scheitern mußte) kauerte neben ihr im trüben Schein, den ihr Körper ausströmte, als liefen unter der durchlässigen Haut phosphoreszierende Prozesse ab.
»Rede! Ist . er es?« herrschte sie ihren verlorenen Sohn an, nun kaum mehr auf Flüstern bedacht, denn das Licht war ein Wegweiser für jeden, der den Laden betrat. Es ließ sich nicht unterdrücken -nicht mehr seit ihrer zweiten Begegnung mit IHM, als in Morlaix wieder neu entfacht und geschürt wurde, was Beth schon beinahe überwunden geglaubt hatte. 2
Nun war es - vor den Toren von Paris - zur dritten Konfrontation mit dem gekommen, der ihr das Kind genommen hatte - weil er ein natürliches Anrecht als Vaters darauf besaß .
Beth wünschte, sie hätte ein Grausen bei diesem Gedanken verspürt. Aber sie war nicht mehr der Schmied des eigenen Geschicks -vielleicht war sie es nie gewesen. Im Grunde war sie nichts anderes als ein ruheloser Geist, dem eine unbekannte Magie gestattet hatte, dem Korridor der Zeit, in dem sie gestorben war, zu entfliehen. Aber warum ihr Geist sich hier und in dieser Zeit materialisiert hatte, wußte sie immer noch nicht.
Im Grunde blieb nur die Erklärung, daß es SEIN Plan gewesen war. Und bei ihrer ersten Begegnung in Prag hatte er dann das in ihr schlummernde Potential ausgelotet und entschieden, es für sich nutzbar zu machen.
In der ersten Zeit hatte Beth mit sich gehadert, ob es nicht besser gewesen wäre, tot geblieben zu sein. Inzwischen hing sie an diesem Dasein, das sich so völlig von ihrem vorherigen unterschied: von ihrem Leben als engagierte Journalistin Beth MacKinsey, die das Pech gehabt hatte, eines Tages auf ein Halbwesen namens Lilith Eden zu treffen .
»Nein«, sagte Belier.
Nein?
Beth mußte erst einmal aus den Verstrickungen ihrer Gedanken zurückfinden, um zu begreifen, daß der Greis auf ihre eben gestellte Frage geantwortet hatte.
Sie blickte dorthin, wo die Schritte lauter wurden, und machte sich keine Gedanken über Flucht oder ähnlichen Unfug. IHM konnte man nicht entkommen. Wenn Er es war .
Die Gestalt, die sich in die von Beth erzeugte trübe Helligkeit schob, schied nicht jenen Gestank aus, der IHN kennzeichnete.
Beth blinzelte kurz, dann glaubte sie zu wissen, woran die furchenübersäte ältliche Frau sie erinnerte: an das Porträt, das neben Beliers eigenem Abbild in die Fassade dieses Hauses gehauen war.
Als die aus der Dunkelheit Kommende in den schmalen Gang hinter der Theke einbog und stumm, fast unterwürfig, bei Belier stehenblieb, räusperte sich Beth. »Ist das - deine Frau?«
In den Augen ihres Sohnes bewegten sich Schlieren wie kleine weiße Maden. »Mein Vater schenkte sie mir, damit ich nicht allein sei«, sagte er.
»Wie fürsorglich«, konnte sich Beth ihren Sarkasmus nicht verkneifen. Aber eigentlich war die Bemerkung nur Ausdruck ihres Unbehagens - ihrer Hilflosigkeit einer Frau gegenüber, die Tisch und Bett eines seit Jahren unablässig Sterbenden geteilt hatte. Wie hatte sie das ertragen können, wie hatte er es ihr erklärt?
»Sie weiß, wer du bist?«
Beth blickte das faltige Gesicht der Frau zwar an, fühlte sich aber außerstande, sie direkt anzusprechen.
»Sie weiß alles, was ich weiß«, hörte sie Beliers Antwort, und etwas darin ging ihr so nahe, daß sie den vor wenigen Minuten Verstoßenen am liebsten wieder in ihr Herz geschlossen und in ihre Arme genommen hätte - aller äußeren und inneren Abkehr zum Trotz.
»Wie heißt sie?«
»Ich nannte sie Beatrice.«
Ich nannte sie . Die Seltsamkeit der Formulierung
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