Die Spur des Verraeters
Saal. Das Gesicht von Kommandant Ohira war eine starre Maske, die keinerlei Emotionen erkennen ließ. Die Federkiele der Schreiber huschten leise kratzend über das Papier, als sie gewissenhaft jedes Wort des Jungen niederschrieben. »Der sôsakan-sama hat mir befohlen, ihm und seinem Gefolgsmann dabei zu helfen, das Schmuggelgut in ein Boot zu verladen.« Kiyoshi schien das Reden schwer zu fallen, doch er machte entschlossen weiter. »Dann musste ich das Boot zu der Höhle rudern. Als ich nach dem Anlegen versuchte, davonzulaufen, hat er mich angegriffen. Dann kamen yoriki Ota und die anderen.«
Sano konnte nicht glauben, was er da hörte. »Ich habe versucht, die Schmuggler zu ergreifen. Ich dachte, Kiyoshi wäre einer von ihnen.«
Doch Nagai beachtete Sano nicht. Er wandte sich an yoriki Ota. »Hat man Hirata schon gefunden?«
»Nein, ehrenwerter Statthalter.«
»Lass die Truppen ausschicken«, befahl Nagai einem seiner Helfer. »Der Mann muss wegen Beteiligung an diesem Verbrechen ergriffen und bestraft werden.«
Der Helfer verbeugte sich und eilte davon.
»Wir haben kein Verbrechen begangen!«, rief Sano eindringlicher als zuvor, denn Hiratas Schicksal lag ihm noch mehr am Herzen als sein eigenes. Wenn die Soldaten Hirata fassten, wurde er möglicherweise auf der Stelle getötet – und das nach den vielen Versuchen Sanos, seinen jungen Gefolgsmann zu schützen! »Das Schmuggelgeschäft war längst im Gange, als Hirata und ich in diese Stadt kamen. Jan Spaen wurde in der Höhle ermordet! Und das Boot, in dem Hirata und ich der Lichterscheinung gefolgt sind, muss immer noch an dem Steilufer sein, wo wir es …«
Sano verstummte, als er Nagais bohrenden Blick sah. »Wenn Ihr die Verhandlung noch einmal stört, indem Ihr Euch unaufgefordert zu Wort meldet, macht Ihr alles nur noch schlimmer für Euch«, sagte der Statthalter mit eisiger Stimme. Dann wandte er sich wieder an Kiyoshi. »Weil man dich gezwungen hat, das Gesetz zu brechen, werde ich deine Familie nicht für deine Tat bestrafen, wie es bei einem Verbrechen wie Schmuggel eigentlich geboten wäre.« Kommandant Ohira schloss ganz kurz die Augen; ansonsten aber war seiner steinernen Miene keinerlei Regung zu entnehmen, und er machte nicht einmal den Versuch, etwas zur Verteidigung seines Sohnes vorzubringen. »Aber du, Kiyoshi, musst dafür bestraft werden«, fuhr Nagai fort, »dass du dich zu diesem Verbrechen hast zwingen lassen. Ich verurteile dich hiermit zum Tode. Die Zeit bis zu deiner Hinrichtung wirst du im Gefängnis von Nagasaki verbringen.«
Von zwei Wachsoldaten gestützt, verließ der schluchzende Kiyoshi mit schwankenden Schritten den Saal. Das Mitgefühl ließ Sanos Wut weiter anwachsen. Kiyoshi war kein Verbrecher; er war bloß ein sehr junger, zu Tode verängstigter Mann. Gewiss hatte er Sano und sich selbst belastet, um jemand anderen zu schützen. Aber wen? Seinen Vater, Kommandant Ohira? Seinen Lehrer, Dolmetscher Iishino? Oder seinen einstigen Gönner, Statthalter Nagai? Diesen drei Männern schuldete Kiyoshi den größten Respekt. Sano fiel ein, dass dem Jungen die Bemerkung herausgerutscht war, er habe jemanden ›warnen‹ wollen. Wen? Sano ließ den Blick über die Gesichter der Versammelten schweifen, doch sämtliche Mienen blieben verschlossen und gaben keinerlei Regung preis.
»Lasst uns nun die Aussagen der anderen Zeugen hören«, sagte Statthalter Nagai.
Die Zeugen meldeten sich nacheinander zu Wort. »Ich bin dem sôsakan-sama unbemerkt bei seinen Nachforschungen in der Stadt gefolgt«, sagte einer der drei fremden Samurai. »Er hat den Händler Urabe und die Kurtisane Pfingstrose vernommen. Es schien, als wollte er die Barbaren schonen und es darauf anlegen, einem Japaner die Schuld an der Ermordung Direktor Spaens zu geben.«
»Ich bin dem sôsakan-sama zum Gefängnis von Nagasaki gefolgt«, erklärte der zweite fremde Samurai. »Er hat dort mit einem Verurteilten gesprochen, der zum christlichen Glauben übergetreten war.«
Der dritte Samurai schließlich sagte: »Ich habe ein Treffen zwischen dem sôsakan-sama und dem Abt Liu Yun beobachtet. Der sôsakan hat dem Abt eine riesige Summe Geldes geboten, dass er chinesische Truppen nach Japan kommen lässt.«
Widerwillig musste Sano die Tüchtigkeit der Spitzel anerkennen, selbst wenn ihre Lügen seinen Untergang bedeuteten. Der kleine dickliche Wachmann war bloß ein Lockvogel gewesen, der ihn, Sano, von den wirklichen Spionen ablenken sollte. Und Sano war auf
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