Die Spur des Verraeters
die Waren verkaufen; und schließlich die Hafenpatrouille, die Polizei und sogar Statthalter Nagai, die für eine hübsche Summe beide Augen zumachen. Es muss einer der Schmuggler gewesen sein, der gestern Abend auf mich geschossen hat. Er wollte verhindern, dass ich diese Verbrecher überführe.«
Sano wusste, dass er den Schmugglerring zerschlagen musste. Wahrscheinlich gehörte auch der Mörder von Jan Spaen zu diesen Verbrechern. Zugleich aber fragte sich Sano, ob er lange genug am Leben blieb, um dieses Ziel zu erreichen. Solch mächtige Gegner würden nicht zögern, selbst einen Gesandten des Shogun zu beseitigen, um sich selbst und ihre schmutzigen Geschäfte zu schützen, die ihnen riesige Gewinne einbringen mussten.
»Wo mag der Ruderer sein?«, sagte Hirata. »Wäre er aus dieser Höhle herausgekommen und den Strand hinauf in die Wälder gestiegen, hätten wir ihn sehen oder hören müssen – wir waren dicht genug hinter ihm.«
Eine Öllampe stand in einer Nische in der Höhlenwand. Sano zündete sie am purpurnen Licht der Bootslampe an und ging in den hinteren Teil der Höhle. Abrupt blieb er stehen und blickte auf den Felsboden, auf dem dunkle Flecke zu sehen waren. Sano kniete nieder. Er sah dunkelrote, verschmierte Streifen auf dem Fels, als hätte jemand versucht, ihn abzuwischen; doch das Gestein hatte die schwach metallisch riechende Flüssigkeit bereits in sich aufgenommen.
»Blut«, sagte Sano. »Hier wurde Direktor Spaen erschossen. Hier hat man ihm die Messerstiche beigebracht. Deshalb gab es auf Deshima keinen Hinweis auf seine Ermordung! Deshalb haben die Taucher keine Waffen gefunden!«
Damit aber zählten die Barbaren wieder zum Kreis der Verdächtigen. Wenn Spaen hier gewesen war, konnten auch deGraeff oder Dr. Huygens in dieser Höhle gewesen sein. Und dieses geheime Lager der Schmuggler bewies, dass die Holländer auf Deshima sehr wohl Zugang zu Waffen hatten.
Also musste Sano die Barbaren ein zweites Mal vernehmen. In seinem Inneren breitete sich eisiger Schrecken aus, als er erkannte, dass seine Ermittlungen letztendlich im Kreis verlaufen waren: Er war wieder dort, wo er angefangen hatte. Als Sano sich aus der knienden Haltung erhob, bemerkte er, dass sein Gefolgsmann verschwunden war.
»Hier, sôsakan-sama !«, rief Hirata und tauchte aus einem breiten Spalt auf, der hinter einer vorstehenden Felsformation versteckt war.
Sano leuchtete mit der Lampe in den Felsspalt und sah dahinter einen Gang, der in die Tiefe führte. Die Flamme der Lampe flackerte in einem kalten Luftzug. »Ein Durchgang«, sagte Sano. »Wahrscheinlich benutzen die Schmuggler ihn, um ihre Beute fortzuschaffen.« Er schaute Hirata an. »Diese Verbrecher haben zwar einen Vorsprung, aber vielleicht können wir sie noch einholen.«
Doch bevor Sano und Hirata den Tunnel betreten konnten, hörten sie Geräusche draußen vor der Höhle: das Rascheln und Knacken von Zweigen, gefolgt von knirschenden Schritten auf dem felsigen Strand.
20.
S
ano stellte die Lampe ab und kletterte über die Felsleiste zum Höhleneingang, gefolgt von Hirata. Die Schritte draußen kamen näher. Sano konnte bereits die rauen, schnellen Atemzüge des Fremden hören. Eine tastende Hand erschien und schloss sich um ein kleines, vorstehendes Felsstück an der Höhlenwand; dann tauchte ein Fuß auf, der in einer Sandale steckte, und suchte nach Halt auf der Felsleiste. Als das Bein des Mannes erschien, packte Sano zu und zerrte mit einem kräftigen Ruck daran.
Ein erschreckter Schrei erklang, gefolgt vom Geräusch eines dumpfen Aufpralls, als der Fremde vor der Höhle zu Boden schlug. Sano stieß sich von der Felsleiste ab und warf sich auf den Unbekannten, der schreiend um sich schlug und sich verzweifelt wehrte. Ineinander verschlungen, rollten die Gegner über den Strand. Sano bekam einen Schlag ans Kinn und stieß sich den Kopf an einem Felsbrocken. Ein weiterer Hieb traf seine verletzte Schulter, sodass er vor Schmerz scharf Atem holte. Doch der Gegner war leichter und kleiner als Sano. Er packte das rechte Handgelenk des Mannes, bevor dieser sein Schwert ziehen konnte, drückte den Arm des Gegners in den Sand und presste ihn rücklings zu Boden, sodass dem Fremden das Mondlicht ins Gesicht fiel. Sano hielt mit Mühe einen erstaunten Ausruf zurück, als er die jugendlichen, nun vor hilflosem Zorn verzerrten Züge erkannte.
»Kiyoshi!«, stieß er hervor. War der Sohn von Kommandant Ohira einer der Schmuggler? War er gar der
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