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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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kam ins Zimmer gestürmt. »Stimmt es, dass man Euch und Hirata-san des Verrats angeklagt hat?«
    »Fälschlicherweise, ja«, erwiderte Sano und steckte den Pass in eine Tasche seines Umhangs. »Falls Hirata sich bei dir meldet, sag ihm …« Dass er aufgeben und das Risiko eingehen soll, verurteilt und hingerichtet zu werden? Dass er sich der Festnahme widersetzen und dabei sterben soll? Dass er fliehen und ein Leben als Gesetzloser führen soll? »Sag ihm, er soll sich verstecken und beten.«
    Sano eilte in die Küche, aß hastig ein paar Reiskuchen und getrockneten Fisch, um seinen leeren Magen zu füllen, und trank dazu klares Wasser. Dann machte er sich auf den Weg, ritt durchs Tor und hoffte, geheimen Verfolgern zu entkommen.
    Die leuchtende Scheibe der Sonne stieg am dunstigen Horizont auf, erhob sich langsam über die Stadt und tauchte die Gebäude, die Straßen und die morgendlichen Menschenmengen in trübes, blassrotes Licht. Ein warmer Wind wehte. Von den weißen Schaumkronen der Wellen abgesehen, war das Meer dunkel und farblos. Am Himmel ballten sich riesige schwarze Unwetterwolken.
    Am Wachhaus auf Deshima zeigte Sano seinen Pass vor.
    »Der ist nicht mehr gültig«, sagte der Wachsoldat.
    »Auf wessen Befehl?«
    »Auf Befehl von Statthalter Nagai.«
    Sano dachte voller Bitterkeit, dass er damit hätte rechnen müssen. Denn Nagai wollte natürlich verhindern, dass der sôsakan Gelegenheit bekam, seinen Namen reinzuwaschen und Beweismaterial zu sammeln, das er gegen seine Ankläger verwenden konnte. Doch plötzlich kam Sano eine Idee.
    »Wann wird Direktor Spaen beerdigt?«, fragte er.
    »Heute Vormittag. Zur Stunde der Schlange.«
    Der Tradition entsprechend, würden die Holländer die Insel zu diesem Anlass verlassen und den Leichnam ihres Landsmannes zur Begräbnisstätte geleiten – und Sano dabei die Möglichkeit bieten, herauszufinden, was Vizedirektor deGraeff und Dr. Huygens über die Schmuggelgeschäfte wussten.
    Doch zuerst einmal galt es, die Besatzung des holländischen Segelschiffes zu beschwichtigen und einen Krieg abzuwenden, bevor am morgigen Tag die Frist ablief und Kapitän Oss der Kopf von Spaens Mörder gebracht werden musste.
    Außer seinen Pflichten als befehlshabender Offizier auf Deshima war Kommandant Ohira für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung an der Straße zuständig, die zur Brücke nach Deshima führte. Aus diesem Grund befehligte er eine Wachstation auf dem Festland, die sich neben dem Tor zur Brücke befand, wo er bei kleineren Vergehen auch das Richteramt ausübte. Sano gelangte zu dieser Station, als die Gewitterfront die Stadt erreichte und heftige Windböen den Regen durch die Straßen peitschten. Schirme wurden aufgespannt; Fußgänger suchten Schutz. Sano schwang sich vom Pferd, führte das Tier unter den Dachvorsprung der Wachstation und band es an einem der vergitterten Fenster an. Am Türeingang schob er einen blauen Vorhang zur Seite, der mit dem Familienwappen der Ohiras bedruckt war.
    Sano folgte zwei Samurai, die einen Gefangenen zwischen sich gepackt hielten und in das Gebäude zerrten, bis sie in einen kleinen Verhandlungssaal gelangten, in dem die Luft von der Feuchtigkeit des warmen Regens gesättigt war. Flankiert von zwei Unteroffizieren, kniete Ohira hinter einem Schreibpult, das auf einem Podest stand. Vor diesem Podest hatte sich eine Gruppe Stadtbewohner versammelt. Die beiden Samurai stießen den Gefangenen, dem die Hände auf dem Rücken gefesselt waren, grob zu Boden. Neugierig auf Ohira, der unerschütterlich ruhig wirkte, obwohl sein Sohn zum Tode verurteilt worden war, kniete Sano nieder, um zu beobachten, was nun geschah. Offenbar sollte über eines der kleineren Vergehen verhandelt werden, die unter Ohiras richterliche Zuständigkeit fielen.
    »Wer ist der Mann?«, fragte Ohira die Unteroffiziere. »Was hat er sich zu Schulden kommen lassen?«
    »Er heißt Yohei und ist Diener auf Deshima. Er hat versucht, ohne Pass auf die Insel zu kommen.«
    Ohira machte ein düsteres Gesicht. »Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen, Yohei?«
    Der Diener, der wegen der Fesseln nur mühsam eine kniende Haltung eingenommen hatte, verbeugte sich. »Ehrenwerter Kommandant«, sagte er, »als ich von zu Hause aufbrach, hatte ich den Pass noch!« Yohei war ein sanftmütig wirkender Mann mit gütigen Augen. »Doch als ich nach Deshima kam, war er verschwunden. Ich muss ihn unterwegs verloren haben. Wäre es mir eher aufgefallen, wäre ich

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