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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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sofort zu Euch gekommen und hätte Euch von diesem Missgeschick berichtet. Niemals hätte ich versucht, ohne Pass auf die Insel zu kommen, das schwöre ich.«
    Sano rechnete damit, dass Ohira den Diener mit einer Ermahnung davonkommen ließ und ihn zur Verwaltung des Statthalters schickte, um sich dort einen neuen Pass ausstellen zu lassen, doch das Gesicht des Kommandanten wurde immer finsterer. »Wer versucht, Deshima ohne Pass zu betreten, macht sich eines schlimmen Vergehens schuldig«, sagte er streng. »Zur Strafe wirst du für den Rest des Tages am Tor angekettet. Deine Schmach wird andere Verbrecher abschrecken. – Führt ihn ab!«
    »Nein, bitte! Ich flehe Euch an!«
    Der Diener warf sich vor dem Kommandanten zu Boden, doch Ohira ließ sich nicht erweichen. Die Unteroffiziere holten eiserne Ketten aus einem Nebenraum, befestigten sie an den Hand- und Fußgelenken des Dieners und zerrten ihn nach draußen. Sano fragte sich, ob der Schmerz Ohiras über die bevorstehende Hinrichtung seines Sohnes diese übertriebene Härte bewirkt hatte. Ließ der Kommandant seinen Zorn, der ihm nach außen hin nicht anzumerken war, an dem hilflosen Diener aus? Oder war er ein Mann, der stets die grausamsten Strafen verhängte, selbst wenn es den eigenen Sohn traf?
    Plötzlich entdeckte er Sano, und sofort nahm sein Gesicht einen wachsamen Ausdruck an. »Räumt den Saal«, befahl er den Dienern. »Und sorgt dafür, dass der sôsakan-sama und ich nicht gestört werden.«
    Während die Diener dem Befehl nachkamen, hielt Ohira dem forschenden Blick Sanos stand, ohne auch nur einmal zu blinzeln. Schließlich sagte er: »Ich hätte wissen müssen, dass Ihr über Eure Verbrechen nachdenkt, Euren Geist reinigt und Euch darauf vorbereitet, wie ein wahrer Samurai zu sterben. Aber sagt, was führt Euch zu mir?«
    »Was glaubt Ihr?« Sano ging zum Podest. In seinem Inneren tobte heißer Zorn auf diesen Mann, der ihn unschuldig eines Verbrechens bezichtigt hatte. Doch als Sano nun einen näheren Blick auf den Kommandanten warf, stiegen unerwartet Bewunderung und Mitleid in ihm auf: Ohiras bleiche Haut war dermaßen straff und gespannt, dass darunter jeder noch so kleine Gesichtsknochen zu sehen war. Die Schatten unter seinen Augen waren dunkel wie Blutergüsse, und sein ausgemergelter Körper unter der schlaffen, weiten Kleidung wirkte beinahe skelettartig. Ohira schien schrecklich darunter zu leiden, dass Kiyoshi sterben musste, doch wie ein wahrer Samurai verdrängte er den Schmerz und erfüllte weiterhin seine Pflicht.
    »Ich möchte wissen, weshalb Ihr mir die Klage wegen Verrats untergeschoben habt«, sagte Sano höflicher als beabsichtigt.
    Ohira funkelte ihn wütend an. »Was redet Ihr denn da?«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Untergeschoben? Diese Anschuldigung ist lächerlich! Aber es kommt ja oft vor, dass Verbrecher versuchen, ihre Missetaten zu leugnen. Ich verstehe nur nicht, wie Ihr einen anständigen und ehrenhaften jungen Mann wie meinen Sohn dazu verleiten konntet, sich an Euren Verbrechen zu beteiligen. Ich wusste gleich, dass es Ärger gibt, als Ihr in Nagasaki eingetroffen seid. Aber ich habe Eure Verderbtheit weit unterschätzt!«
    Plötzliche Zweifel überkamen Sano. Vielleicht gehörte Ohira doch nicht zu dem Schmugglerring und hatte auch nichts mit dem Mord an Jan Spaen und Pfingstrose zu tun. Vielleicht war er ehrlich davon überzeugt, dass Sano ein Schurke war, der das Leben Kiyoshis auf dem Gewissen hatte, und wollte nun Rache. Und es konnte sein, dass Statthalter Nagai dieses heiße Verlangen Ohiras für seine eigenen Zwecke ausgenutzt hatte, um weitere Beweise gegen Sano zu erfinden.
    Sano änderte seine Taktik. »Ich glaube nicht, dass Kiyoshi schuldig ist«, sagte er. »Wenn Ihr die Wahrheit sagt, könnt Ihr ihn vielleicht retten.«
    Ohira erhob sich, stieg vom Podest herunter und ging mit schleppenden Schritten zu einem der Fenster, wandte Sano den Rücken zu und starrte hinaus. »Kiyoshi ist schuldig«, sagte er.
    Auf der regennassen Straße stand der Diener, der inzwischen am Tor angekettet war; er hatte den Kopf vor Scham gesenkt, während eine johlende Menge ihn verhöhnte und mit Pferdemist nach ihm warf. »Kiyoshi wurde auf frischer Tat ertappt«, sagte Ohira, »und hat gestanden. Nun muss er seine Strafe hinnehmen; so verlangt es das Gesetz. Jetzt kann ihn keiner mehr retten.«
    Trotz der düsteren Worte Ohiras hörte Sano einen Hauch von Hoffnung in der Stimme des Mannes.

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