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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Sano.
    Als er den Verhandlungssaal verließ, fühlte er sich in seinem Misstrauen bestärkt. Der Befehlshaber der zweiten Wachmannschaft hatte sich geistesgegenwärtig verstellt, doch Sano konnte sich denken, worüber Hauptmann Nirin wirklich mit seinem Vorgesetzten hatte reden wollen: Wie sie ihre Schmuggelgeschäfte weiterführen konnten, nun, da sie aufgedeckt waren.
    Doch als Sano sich auf sein Pferd schwang und in den Regen starrte, wurde sein Hochgefühl von Verzweiflung verfinstert.
    Selbst wenn Ohira des Verrats schuldig war, vielleicht sogar des Mordes, würde er niemals gestehen, weil er Kiyoshi dadurch nicht retten konnte. Denn das Gesetz schrieb vor, dass bei derart schweren Verbrechen die ganze Familie des Täters bestraft werden musste. Gestand Ohira seine Taten, würde er sich selbst, seine Frau und seine fünf Kinder zum Tode verurteilen – und seinen Ältesten Kiyoshi, obwohl dessen Unschuld dann erwiesen wäre. Schwieg er jedoch, starb nur Kiyoshi.
    Ohne stichhaltige Beweise konnte Sano Kommandant Ohira niemals überführen. Deshalb musste er versuchen, den Hebel bei den anderen japanischen Verdächtigen anzusetzen – oder bei den Holländern.

22.

    J
    an Spaens Leichnam hatte nach der Obduktion durch Dr. Huygens in seiner einstigen Unterkunft auf Deshima gelegen. Nun trugen Wachsoldaten den schlichten, mit einem schwarzen Tuch bedeckten Holzsarg auf die Straße und stellten ihn ab. Am anderen Ende der Brücke nach Deshima, auf dem Festland, hatte sich eine Schar von Gaffern versammelt, um sich die Trauerprozession und die Beamten anzuschauen, die von der Stadt entsandt worden waren, um ihren diplomatischen Pflichten nachzukommen und den Holländer auf seinem letzten Gang zu begleiten. Das Unwetter hatte sich verzogen; es nieselte nur noch leicht.
    Maarten deGraeff, Vizedirektor der holländischen Ostindischen Kompanie, beobachtete das Geschehen vom Dach seines Hauses, auf das er immer dann hinaufstieg, wenn er das Gefangensein in seinen Zimmern nicht mehr ertragen konnte. Jahrelang hatte er den Tod Jan Spaens herbeigesehnt. Doch der Mord an seinem Partner hatte deGraeff nicht in dem Maße befreit, wie er es sich erhofft hatte; stattdessen waren seine Sorgen um ein Vielfaches größer geworden. Maarten deGraeff hätte wissen müssen, dass er dem Bösen, Verderbten in seiner Seele niemals entkommen konnte, wenngleich er es seit seinem neunzehnten Lebensjahr versucht hatte, als er der Ostindischen Kompanie beigetreten war.
    DeGraeff hatte seine Heimat und seine Eltern verlassen; er hatte sein Studium an der Universität und eine kirchliche Karriere aufgegeben – nicht wegen viel Geld oder einem abenteuerlichen Leben, sondern seines Verbrechens wegen: dieser weltlichen Begierde, die kein Gebet vertreiben konnte … die widernatürlichen Treffen mit Seeleuten in Amsterdamer Spelunken … das Liebesverhältnis mit einem anderen Studenten, das ein Ende fand, als deGraeffs Geliebter sich im Schlafsaal erhängte, weil er die Schuldgefühle nicht mehr ertragen konnte. DeGraeff hatte weit fort von zu Hause sein wollen, falls sein wahrer Charakter jemals bekannt wurde, damit seiner Familie die Schande erspart blieb, erleben zu müssen, wie einer ihrer Söhne der Sünde verbotener und widernatürlicher Liebe wegen hingerichtet wurde.
    Ein bitteres Lachen blieb deGraeff im Halse stecken, als er daran dachte, was er durch sein selbst auferlegtes Exil erreicht hatte. Hier saß er nun, eine halbe Welt von der Heimat entfernt, und war immer noch ein Sünder – und obendrein ein Mordverdächtiger.
    Unter ihm erklang ein Geräusch und riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Jemand stieg die Leiter vom Balkon zum Dach hinauf. Dann erschien das sorgenvolle Gesicht von Dr. Nicolaes Huygens über dem Dachrand. »Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte er.
    DeGraeff stöhnte innerlich auf, als der untersetzte Arzt neben ihm Platz nahm. Seit Spaens Tod war er Huygens aus dem Weg gegangen. Aber irgendwann mussten sie miteinander reden.
    Keuchend zog Dr. Huygens ein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirn; dann faltete er das Tuch mit peinlicher Sorgfalt zusammen und steckte es in die Tasche zurück. Er öffnete und schloss seine dicken Hände. »Gleich wird der Sarg zum Friedhof getragen«, sagte Huygens schließlich. »Gehst du nicht mit zur Beerdigung?«
    Dem Arzt war anzumerken, dass er nicht gekommen war, um diese Frage zu stellen, doch deGraeff war so sehr mit seinen eigenen Sorgen

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