Die Spur des Verraeters
»Gehören Statthalter Nagai und Dolmetscher Iishino zur Schmugglerbande? Oder ist es ganz anders? Befolgt Ihr, Nagai und Iishino die Befehle von Kammerherr Yanagisawa – mit dem Ziel, mich zu vernichten?«
»Eure Anschuldigungen gegen Statthalter Nagai und Dolmetscher Iishino sind verleumderisch«, erwiderte Ohira und starrte immer noch aus dem Fenster. »Und was die Befehle des Kammerherrn betrifft, so kenne ich sie nicht.«
Draußen hetzte der Pöbel einen Hund auf den angeketteten Mann, dessen klägliches Flehen um Gnade sich mit dem wütenden Bellen des Tieres mischte. Ohira beobachtete das Geschehen ohne jede Regung.
»Wer von den Barbaren hat Spaen geholfen, illegal Waren ins Land zu schaffen?«, fragte Sano. »DeGraeff?« Oder Dr. Huygens?, flüsterte eine innere Stimme, doch Sano beachtete sie nicht. »Wer von Euren Leuten auf Deshima hat geholfen, die Waren von der Insel zu schaffen? Wer hat das Boot mit dem hellen Licht gerudert? Wer hat Direktor Spaen ermordet?«
Langsam drehte Ohira sich um. Zwei widerstreitende Kräfte – Ehrlichkeit und Furcht – fochten einen erbitterten Kampf in ihm, der sich auf seinem Gesicht widerspiegelte. Sano erkannte, dass die Waage zu seinen Gunsten ausschlug, und fügte mit leiser Stimme hinzu: »Nur die Wahrheit kann Kiyoshis Ehre retten.«
Als Ohira den Namen seines Sohnes hörte, verwandelte sich die Unsicherheit in seinen Augen in unerschütterliche Entschlossenheit. »Eures Verbrechens wegen habt Ihr in Nagasaki keine Amtsgewalt mehr«, sagte er mit kalter Stimme. »Ich bin nicht mehr verpflichtet, Euch zu antworten.«
Sanos Zweifel an Ohiras Schuld gerieten ins Wanken. »Ihr habt die Sicherheitsvorkehrungen auf Deshima gelockert«, klagte er den Kommandanten an. »Ihr habt den Wachsoldaten befohlen, Waren aus den Lagerhäusern zu holen, das Schleusentor zu öffnen und auf das Anlegen des Bootes mit dem hellen Licht zu warten, um es mit dem Schmuggelgut zu beladen. Ihr steckt mit der Hafenpatrouille und der Polizei dieser Stadt unter einer Decke. Und die Bewohner Nagasakis halten sich aus der ganzen Geschichte heraus, weil sie die geheimnisvollen Lichter für Geister halten, nachdem Ihr dafür gesorgt habt, dass dieser abergläubische Unsinn in der Stadt verbreitet wird. Und Ihr habt den Barbaren erlaubt, Deshima zu verlassen, weil sie darauf bestanden haben, beim Transport ihrer Waren dabei zu sein und beim Verkauf das Geld eigenhändig von den Kunden zu kassieren. Jan Spaen wäre niemals verschwunden, hättet Ihr den Barbaren nicht erlaubt, Deshima zu verlassen! Und dann habt Ihr mich beschuldigt, um Eure eigene bestechliche Haut zu retten«, endete Sano voller Bitterkeit.
»Erst habt Ihr meinen Sohn vernichtet, und jetzt wagt Ihr es auch noch, meine Ehre anzugreifen?«, stieß Ohira hervor, und seine Augen loderten fiebrig in seinem totenschädelähnlichen Gesicht. »Ich habe mein Leben der Aufgabe gewidmet, für Recht und Ordnung zu sorgen. Niemals würde ich gegen die Gesetze verstoßen, und ich will auch den Grund dafür sagen.
Es war an einem Tag in jenem Sommer, als ich zehn Jahre alt war. Meine drei besten Freunde und ich hatten uns einen Plan ausgedacht, wie wir heimlich nach Perlen tauchen konnten. Wir wollten sie bei den chinesischen Händlern gegen Feuerwerkskörper eintauschen. Wenngleich das verboten ist, bedeutete es für uns Freunde damals nur ein geringes Risiko. Denn um die chinesische Ansiedlung herum ist die Bewachung durch die Japaner sehr lasch, sodass viele Geschäfte unter der Hand getätigt werden.
Dann aber starb meine Großmutter, sodass ich das Haus nicht verlassen konnte. Meine drei Freunde gingen ohne mich zum Perlentauchen. Einer der Jungen ertrank dabei. Die beiden anderen – zwei Brüder –, verkauften die Perlen an die Chinesen. Am Abend darauf brannte ihr Elternhaus nieder, und sie starben in den Flammen. Nur ich, der sich nicht an dieser Sache beteiligt hatte, blieb verschont. Ich habe es als Zeichen der Götter betrachtet: Sie wollten mir damit zu verstehen geben, mich fortan stets an die Gesetze zu halten und andere davor zu bewahren, Unrecht zu tun. Ich habe es geschworen – und glaubt mir, ich habe diesen Schwur niemals gebrochen. Wer etwas anderes behauptet, wird mit seinem Blut dafür bezahlen!«
Er wollte sein Schwert ziehen, doch Sano ergriff rasch Ohiras Hand und hielt sie fest. Ohiras Worte hatten so aufrichtig geklungen, dass Sano sich erneut fragte, ob der Kommandant unschuldig war. Ohira war streng
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