Die Spur des Verraeters
beschäftigt, dass es ihm egal war. »Ich bitte dich, Nicolaes«, sagte er, »erzähl keinem, was ich getan habe.«
Er hätte wissen müssen, dass es unmöglich war, auf dieser winzigen Insel ein Geheimnis zu wahren. Zuerst hatte deGraeff sich mit männlichen Prostituierten vergnügt, die als Frauen verkleidet waren, um ihr wahres Geschlecht vor seinen Kameraden zu verbergen. Dann hatte er sich auf eine dumme und gefährliche Affäre mit einem niederrangigen Dolmetscher aus Nagasaki eingelassen und war prompt von Huygens erwischt worden. Und weil Jan Spaen, der schon seit Jahren von deGraeffs sexueller Veranlagung wusste, nicht mehr lebte, lag sein Schicksal nun in den Händen des Arztes. Von kaltem Entsetzen erfüllt, wartete deGraeff auf die Antwort, als Huygens sich ihn zuwandte.
»Du und Spaen, ihr wart lange Zeit Partner«, sagte Huygens, als hätte er deGraeffs Bitte gar nicht gehört. »Ich nehme an, er hat dir vertraut.«
»Was?«, erwiderte deGraeff verwirrt. »Hör mal, Nicolaes …«
Dr. Huygens errötete heftig. Sein Tonfall wurde drängend, und er suchte deGraeffs Blick. »Hat er dir von … von uns anderen erzählt?«
DeGraeffs gedrückte Stimmung schwand, als er plötzlich begriff, dass Jan Spaen offenbar auch über Dr. Huygens irgendwelche Dinge gewusst hatte, von denen besser niemand erfuhr. DeGraeff hatte keine Ahnung, um was es sich dabei handelte; Jan Spaen hatte sein Wissen – und die Macht, die es ihm verlieh – wie einen Schatz gehortet. Doch deGraeff erkannte nun, dass sein Heil davon abhing, seine Unwissenheit vor Huygens zu verbergen und stattdessen so zu tun, als hätte er gewisse Dinge von Spaen erfahren.
»Ja«, sagte er und bemühte sich, überzeugend zu wirken, »Jan hat mir einiges über dich erzählt.«
Huygens’ Schultern sanken herab; er wirkte wie ein geschlagener Mann. »Also weißt du über mich Bescheid«, sagte er mit angespannter Stimme.
DeGraeff hob bloß eine Augenbraue. Jetzt war er im Vorteil, und das wollte er nutzen.
»Wenn du mich den holländischen Behörden oder diesem Sano Ichirō auslieferst, werde ich erzählen, was ich über dich weiß«, stieß Huygens hervor. Er stank nach Angstschweiß, und in seinen fiebrigen Augen lag Verzweiflung. »Und ich werde ihnen erzählen, dass du dich mit Spaen gestritten hast, bevor er getötet wurde. Du wolltest die Ostindische Kompanie verlassen, zurück nach Holland reisen und in ein Kloster eintreten, aber Spaen kam ohne dich nicht zurecht. Deshalb hat er dir gedroht, von deinen Verfehlungen zu berichten, solltest du die Kompanie verlassen. Und du weißt, wie deine Strafe ausgesehen hätte – man hätte dich gefesselt ins Meer geworfen. Deshalb hast du Spaens Tod gewünscht! Nicht weil du seinen Anteil von dem Geld wolltest, das ihr beide zusammengerafft habt, sondern weil Spaen dich vernichten konnte. Du hast Jan Spaen gehasst und wolltest ihn loswerden.«
O ja!, dachte deGraeff. Weil er mich mit seinem Wissen erpresst hat. Weil er mich in der Hand hatte. Und weil er meine Hoffnung auf Erlösung zerstört hat!
DeGraeff war der Ostindischen Kompanie aus mehreren Gründen beigetreten, vor allem mit der Absicht, sein verderbtes Leben aufzugeben und sich durch Arbeit, Härte gegen sich selbst und durch Gebete zu reinigen. Anfangs schien er Erfolg zu haben, wenngleich sein neues Leben eine Vielzahl von Gefahren barg: lange Reisen über die Meere, die unter den rein männlichen Besatzungen der Schiffe verbotene Gelüste erweckten, und ausländische Häfen, in denen Heiden jeder erdenklichen Spielart sexueller Perversionen frönten. Indem er jegliche Kontakte mit anderen Männern mied, hatte deGraeff den Versuchungen widerstanden. Außerdem hatten Skorbut, tropisches Fieber und andere Krankheiten, die Überseefahrer erleiden mussten, deGraeffs Begierde zusätzlich gehemmt. Fünfzehn Jahre lebte er enthaltsam und entdeckte seine Begabung für den Handel. Vom Schreiber stieg er zum Sekretär auf, bis er in Batavia, der holländischen Festung an der Küste Javas, schließlich zum stellvertretenden Leiter der Handelsstation ernannt wurde. Er beschloss, noch ein paar Jahre für die Ostindische Kompanie zu arbeiten, sein Geld zu sparen und dann in die Heimat zurückzukehren, um sein Studium der Theologie wieder aufzunehmen.
Seine Träume waren in der Nacht gestorben, als sein Leben in die Hände Jan Spaens gefallen war.
DeGraeffs Gedanken schweiften zurück zu jener schicksalhaften Nacht. Damals war er vier Jahre in
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