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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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eine Heilmethode für das Leiden des Jungen finden, und er machte sich große Sorgen um Pieters Zukunft. Doch das sanfte, engelgleiche Wesen des Jungen hatte seinen Eltern so viel Freude bereitet, dass es ihren Kummer wettmachte …
    Heute waren diese glücklichen Erinnerungen verblasst und schienen in weiter Ferne zu liegen. Wie eine Medizin, die zu oft genommen wurde, hatten die Bilder aus der Vergangenheit die Kraft verloren, den Schmerz zu lindern. Nun trugen Huygens’ Erinnerungen ihn noch weiter zurück, bis in die Tage seiner Jugend – Erinnerungen, die er verschlossen in einem Winkel seines Geistes bewahrt hatte.
    Er war der Sohn eines wohlhabenden Händlers aus Amsterdam gewesen, der ein Vermögen dafür bezahlt hatte, dass sein Sohn die Universität zu Leyden besuchen konnte. Doch der siebzehnjährige Nicolaes Huygens interessierte sich nicht für das Studium. Stattdessen trank er mit einer Bande derber Kumpane die Nächte hindurch in den Spelunken der Stadt. Sie stellten Mädchen nach und prügelten sich auf den Straßen. Wenn Huygens überhaupt einmal eine Vorlesung besuchte, dann nur, um seine Professoren mit Zwischenrufen zu ärgern. Der Rektor drohte Huygens, ihn von der Universität zu verweisen; sein Vater tobte. Doch Huygens führte sein ausschweifendes Leben weiter – bis es in einem Verbrechen gipfelte, mit dem er sich selbst Jan Spaen in die Hände spielte.
    Es war auf der kermis geschehen – dem alljährlichen holländischen Volksfest. Unter bunten Zelten boten fahrende Händler Süßigkeiten und Würste und Speck und billigen Firlefanz feil; Akrobaten vollführten ihre Kunststücke, Narren brachten die Zuschauer zum Lachen, und Zigeunerinnen sagten die Zukunft voraus. Der Besitzer eines Kuriositätenkabinetts brüstete sich damit, seinen Zuschauern ein Schwein mit zwei Köpfen und einen Mann ohne Gliedmaßen zeigen zu können, und eine Theatertruppe führte Stücke auf. Feiernde führten einen mit Blumen geschmückten Ochsen auf den Marktplatz, wo er geschlachtet, am Spieß gebraten und bei einem Festschmaus aufgetragen wurde, bei dem Musikanten mit Fiedeln und Flöten aufspielten und Männer, Frauen und Kinder sich im Tanz drehten. In sämtlichen Schänken drängten sich die Zecher.
    Mit schwankenden Schritten bewegten sich Huygens und seine Kumpane durch die Menge, betrunken und streitlustig. Huygens und die anderen waren auf der Suche nach einer verfeindeten Studentengruppe; in ihren Taschen waren Mehl und kleine Gefäße voll geschmolzenem Wachs, um den Gegnern die Gesichter einzuschmieren, wie es auf der kermis Tradition war.
    »Komm raus, Tulp, du Feigling!«, rief Huygens nach dem Anführer der gegnerischen Studentengruppe.
    Seine Kumpane johlten. »Wir brauchen noch was zu trinken!«
    Sie betraten eine Schänke. Und da saß er inmitten der anderen Gäste zwischen seinen Freunden: Franz Tulp, ein stämmiger blonder Bursche, der verächtlich grinste.
    »Schnappt sie euch!«, rief Huygens seinen Kumpanen zu.
    Sie griffen die Rivalen an, schleuderten das flüssige Wachs und das Mehl nach ihnen. Die Gegner revanchierten sich, indem sie Huygens und die anderen mit Bier überschütteten. Doch plötzlich wurde aus der freundschaftlichen Rangelei eine erbitterte, gewalttätige Auseinandersetzung. Fäuste flogen, Stöcke zischten durch die Luft, und grölendes Gelächter verwandelte sich in Schmerzensschreie. Huygens, tobend vor Wut, verfolgte Franz Tulp nach draußen, jagte ihn in eine menschenleere Nebengasse, drängte ihn dort in die Enge und versperrte ihm den Fluchtweg. Trunkener Hass verdrängte alle Vernunft. Huygens griff nach der kurzen, schweren Tonpfeife, die er ständig in der Tasche trug …
    Plötzlich flog die Tür des Gemeinschaftsraumes auf, und Huygens wurde schlagartig wieder in die Gegenwart gerissen. Nirin, der falkengesichtige Hauptmann der zweiten Wachmannschaft, stürmte ins Zimmer, atemlos vor Aufregung, und rief den Posten draußen vor der Tür einen Befehl zu. Zu Huygens’ Erschrecken hörte es sich an wie: »Der Arzt muss uns begleiten.« Huygens fragte sich, ob Sano von seinem Streitgespräch mit Jan Spaen erfahren hatte und wiedergekommen war, um ihn noch einmal über den Mord zu vernehmen.
    Als die Wachen im Zimmer protestierten und sich auf den Befehl des Statthalters beriefen, die Barbaren dürften den Gemeinschaftsraum auf keinen Fall verlassen, beachtete Hauptmann Nirin sie gar nicht, sondern drängte Huygens zur Tür hinaus. Der Arzt war nicht sonderlich

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