Die Spur des Verraeters
Besatzung des Seglers abgesehen. Holländische Matrosen bekamen einen Hungerlohn; für sie war eine Silbermünze ein kleines Vermögen.
Einen Augenblick lang drohte auf dem Segelschiff eine Meuterei auszubrechen; dann aber nickte Kapitän Oss und gestand seine Niederlage ein. Er rief Sano irgendetwas zu, und Iishino übersetzte.
»Er wird für weitere zwei Tage auf die Beschießung der Stadt verzichten! Für weitere zwei Tage!«
An Deck des japanischen Schiffes breitete sich erleichtertes Gemurmel aus. Sano atmete auf.
»Aber er weigert sich, den Hafen zu verlassen, bis er überzeugt davon ist, dass der wahre Mörder Jan Spaens bestraft wurde.«
Diesmal ließ Kapitän Oss sich nicht durch Verhandeln zum Einlenken bewegen. Schließlich lichtete das japanische Kriegsschiff den Anker und wendete, während die Patrouillenboote noch immer einen Ring um den Segler bildeten, die japanischen Kanoniere bei ihren Geschützen auf den Spitzen der Klippen blieben, und die Truppen nach wie vor den Strand bewachten. Sano betete, dass der unsichere Waffenstillstand hielt.
»Wir werden die Bestechungssumme zahlen, aber die Truppen bleiben in Alarmzustand«, sagte Statthalter Nagai zu seinen Leuten. »Falls das holländische Schiff feuert, werden wir es zerstören. Jetzt bleibt uns keine Wahl mehr.« Anscheinend glaubte er weder an Kapitän Oss’ Versprechen noch an Sanos Fähigkeiten. Nagai wandte sich an Sano und sagte mit kalter Stimme: »Das könnte der Beginn der größten Katastrophe sein, von der unser Land je heimgesucht wurde. Ihr habt großes Glück, nicht mehr lange genug zu leben, als dass Ihr die Folgen Eures dummdreisten Tuns zu spüren bekommt … Ihr Verräter.«
Die Beleidigung ließ Sanos Zorn aufflammen, auch wenn er zugeben musste, dass ihn tatsächlich ein gewisses Maß an Schuld traf – schließlich hatte er die holländischen Interessen höher gestellt als die japanischen, indem er das Schiff der Barbaren unter Waffen ließ. Er hätte niemals seiner Neugier nachgeben dürfen, sich diese Menschen aus dem fernen Europa anzuschauen. Er hatte die Wissbegierde und Abenteuerlust über seine Pflicht gestellt, nach Recht und Ehre zu handeln.
»Bald werden wir sehen, wer von uns der Verräter ist«, erwiderte er zornig auf den Vorwurf Nagais. »Denn ich werde herausfinden, welche Rolle Ihr beim Mord an Jan Spaen und bei den Schmuggeleien gespielt habt. Das dürfte die Magistraten beim Tribunal sehr interessieren und sie veranlassen, in Nagasaki zu bleiben, um eine zweite Verhandlung zu führen, bei der ich gegen Euch aussagen werde, ehrenwerter Statthalter.«
Nagais Lachen strömte über Sano hinweg wie eine giftige, ätzende Flüssigkeit. »Ihr werdet niemals irgendeinen Beweis gegen mich finden – oder jemanden, der gegen mich aussagen wird.«
Sanos Zuversicht verflog, als der kalte Wind ihm den Regen ins Gesicht peitschte, während das Kriegsschiff sich der Küste, den Truppen am Strand und den roten Kriegsflaggen näherte, die auf den Kuppen der Hügel flatterten. Statthalter Nagai war gerissen genug, seine Fährte zu verwischen, und hatte die Macht, unerschütterliche Ergebenheit und Schweigen zu erzwingen. Wer von Nagais Untergebenen würde es schon wagen, ihn eines Verbrechens anzuklagen?
»Und falls Ihr immer noch glaubt, sôsakan , detektivisches Talent zu besitzen«, fuhr der Statthalter fort, »muss ich Euch diese Illusion rauben. Zwei Tage vor Direktor Spaens Verschwinden haben die Wachen auf Deshima von einem gewalttätigen Streit zwischen Spaen, deGraeff und einem weiteren Barbaren berichtet – dem Arzt, Nicolaes Huygens.«
Sano hatte das Gefühl, einen Schlag in den Magen bekommen zu haben. Für einen Moment war er wie betäubt. Als Nagai dann fortfuhr, wurde Sanos Schock von schmerzlicher Wut verdrängt.
»Die Wachsoldaten hörten zornige Stimmen in Spaens Schreibstube. Als sie den Raum betraten, sahen sie, dass Dr. Huygens sich auf Spaen gestürzt hatte und auf ihn einschlug. Huygens bemerkte die Wachsoldaten, ließ von seinem Opfer ab und stürmte aus dem Zimmer. Die Wächter wussten nicht, warum die beiden Barbaren sich gestritten hatten, erklärten später aber, Huygens habe einen so wütenden Eindruck gemacht, dass sie ihm den Mord an Spaen zugetraut hätten.« Wieder lachte Statthalter Nagai. »Ja, genauso war es. Wärt Ihr ein fähiger Ermittler, hättet Ihr längst von der Feindschaft zwischen Huygens und Jan Spaen erfahren, bevor Ihr mit dem holländischen Arzt Freundschaft
Weitere Kostenlose Bücher