Die Spur des Verraeters
des holländischen Seglers konnten sie nicht standhalten.
Die Ruder hoben sich aus dem Wasser, und die Segel wurden rasch aus dem regnerischen Wind gedreht. Mit einem gewaltigen Klatschen fiel der Anker; das Schiff blieb stehen. Sano schickte ein stummes Gebet zu den Göttern, holte tief Atem, winkte und rief:
»Kapitän Oss! Könnt Ihr Euch an mich erinnern?«
Iishino kauerte sich auf das Deck, dass sein Kopf gerade eben über die Reling ragte. Mit schriller, bebender Stimme übersetzte er Sanos Worte.
»Ihr habt mir zwei Tage Zeit gegeben, den Mörder von Jan Spaen zu ergreifen und für eine sichere Unterbringung Eurer Mannschaft zu sorgen«, fuhr Sano fort und hoffte, dass weder seine Stimme noch sein Mut ihn verließen. »Warum habt Ihr Eure Meinung geändert?«
Oss senkte die Waffe zwar nicht, reckte aber den Hals, um Sano beobachten zu können. Dann stieß er mit rauer Stimme eine Erwiderung hervor.
»Er sagt, er ist des Wartens müde«, übersetzte Iishino.
Sano erkannte, dass der Barbar diese Auseinandersetzung gesucht hatte, weil er wusste, dass Japan keinen Krieg wollte. Kapitän Oss erhoffte sich dadurch zusätzliche Handelskonzessionen und Vorteile für sich selbst. »Kapitän Oss«, rief Sano, »bitte, befehlt Euren Leuten, nicht zu schießen. Verlasst den Hafen, bis wir bereit sind, Euch zur Küste zu geleiten.« Sano widerstrebte der Gedanke, dem ehrgeizigen Kapitän und seiner Barbarenhorde die Erlaubnis zu erteilen, an Land zu gehen, doch jetzt kam es erst einmal darauf an, die unmittelbare Bedrohung der nationalen Sicherheit zu beseitigen.
Kaum hatte Iishino seine Übersetzung beendet, schoss eine grellrote Stichflamme aus der Mündung von Oss’ Waffe. Ein Knall peitschte auf und hallte über das Wasser hinweg. Eine Kugel bohrte sich in eine Decksplanke des Kriegsschiffes. Sano ließ sich zu Boden fallen. Schreie gellten, und Rüstungen klirrten, als Iishino, Statthalter Nagai und die Besatzung es Sano gleichtaten. Dann aber brüllte der japanische Kapitän Befehle, und die Soldaten bezogen wieder ihre Posten. Entlang der Reling wurden über hundert Pfeile auf Bogensehnen gespannt. Auf dem holländischen Segler war das Rumpeln dicker Holzräder zu hören, als die Kanoniere ihre Bordgeschütze ausrichteten.
»Nein!«, rief Sano. Gnädige Götter! Jeden Augenblick würde der Krieg ausbrechen! Und er, Sano, würde zu den ersten Gefallenen zählen. »Nicht schießen!«
Statthalter Nagai rief dem Kapitän und der Besatzung wilde Drohungen zu. Doch als keine weiteren Schüsse vom holländischen Segler kamen, erteilte der Kapitän widerwillig den Befehl, nicht zu feuern. Aber die Bogensehnen blieben gespannt, die Pistolen, Gewehre und Kanonen auf den Feind gerichtet, während das wütende Toben von Kapitän Oss’ übers Meer schallte.
»Übersetze!«, befahl Sano und zerrte Iishino auf die Beine.
Der Dolmetscher jammerte. »Er sagt, dass sich im Laderaum des Schiffes ein Vermögen an Waren befindet und verlangt, dass wir ihm diese Waren zu einem Preis abkaufen, den er selbst festsetzt, und … oje. Ihr, sôsakan-sama , sollt dem Kapitän außerdem die Leiche von Jan Spaens Mörder bringen und der Barbarenhorde erlauben, im Hafen anzulegen. Andernfalls werden sie Nagasaki zerstören!«
Sano spürte, wie sich Unruhe unter den japanischen Soldaten ausbreitete; aber dass Kapitän Oss von Geld und Waren geredet hatte, eröffnete Sano einen Ausweg. Er sah das Entsetzen auf den Gesichtern der Barbaren: Auch sie wollten nicht sterben. Sie gehorchten nur aus Furcht vor ihrem Kapitän.
»Wenn Ihr nicht feuert und den Hafen verlasst, Kapitän Oss, bekommt jeder Eurer Männer ein Silberstück«, rief Sano. »Ihr selbst bekommt zehn!«
Die Männer in Sanos Nähe schnappten nach Luft. Die diplomatischen Gepflogenheiten untersagten die Bestechung von Barbaren. Sano sah das schwache Lächeln auf Statthalter Nagais Gesicht und wusste, dass er die Anklage wegen Verrats soeben erhärtet hatte. Doch nachdem Iishino den Barbaren Sanos Angebot übermittelt hatte, beobachtete er voller Erleichterung, dass sein Angebot die erhoffte Wirkung erzielte. Oss schüttelte zwar den Kopf und wies das Angebot wütend zurück, doch nun wandten seine Männer sich gegen ihn, verließen ihre Posten, gestikulierten und diskutierten. Ein Hochgefühl sprengte das stählerne Band der Sorge, das Sano die Brust eng gemacht hatte. Sein Angebot an Kapitän Oss war lediglich Mittel zum Zweck gewesen; in Wahrheit hatte Sano es auf die
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